Am 4. Juni 2000 erhielt der Historiker Ernst Nolte den Konrad-Adenauer-Preis für Wissenschaft. Laut Zeitungsmeldungen war es sehr schwer jemand zu finden, welcher die bei Preisverleihungen übliche Laudatio halten wollte. Wenn man bedenkt, wie gerne sich Politiker und andere "wichtige" Menschen in der Nähe von bedeutenden Preisträgern aufhalten, so mutet es merkwürdig an, das es in diesem Fall fast nicht gelungen wäre, einen Festredner zu finden.

Ernst Nolte, vom Fach her Historiker, löste mit seinen Forschungen den sogenannten Historikerstreit aus. In seinem Werk versuchte er sich dem Phänomen des Nationalsozialismus wissenschaftlich zu nähern. Er wies nach, das der Faschismus nicht isoliert von den geschichtlichen Bedingungen betrachtet werden darf, sondern er muß im Zusammenhang und als Reaktion auf den russischen Bolschewismus gesehen werden. Diese These war auch der Anlass für den Historikerstreit. Er spaltete Wissenschaftler und Öffentlichkeit in zwei Lager. Während vornehmlich linksorientierte Wissenschaftler um den Soziologen der Frankfurter Schule Jürgen Habermas die These vertraten, das der Nationalsozialismus ein singuläres, ein in seinen Dimensionen einzigartiges geschichliches Phänomen darstellt und aufgrund dessen immer gesondert betrachtet werden muß, bestritt Ernst Nolte dieses und sah den Nationalsozialismus im geschichtlichen Kontext mit der russischen Revolution im Jahr 1917.

Doch nicht dieser fast zwei Jahre lang währende Streit, der übrigens bis heute nicht entschieden ist, interessiert an dieser Stelle, sondern wieder einmal die Frage, wie Geschichte interpretiert, wie sie von zukünftigen Generationen verarbeitet wird. Was z. B. in den Naturwissenschaften ganz normal und auch gar nicht anders möglich ist, nämlich Objektivität - ein Meter bleibt ein Meter, ein Gramm bleibt ein Gramm, unabhängig von der politischen Einstellung des Wissenschaftlers - stellt sich in den Geisteswissenschaften und hierunter fällt auch die Geschichtswissenschaft, leider ganz anders dar.

Nichts ist weniger eindeutig als sogenannte historischen Tatsachen. Allenfalls gelingt noch die Zuordnung eines Ereignisses zu einer Jahreszahl. Die Bewertung gestaltet sich allerdings äußerst schwierig. Hier gerade kommt die individuelle Interpretation ins Spiel, die abhängig von der jeweiligen politischen Einstellung eine andere Sichtweise hervor bringt. Theoretisch sollte auch der Historiker einen möglichst hohen Grad von Objektivität erreicht haben, bevor er sich mit einem bestimmten Abschnitt der Geschichte auseinandersetzt.

Dies eben ist der Verdienst von Ernst Nolte. Bei der Beschäftigung mit diesem äußerst schweren Kapitel der Deutschen Geschichte legt er eine bestechende Objektivität zugrunde. Diese Objektivität ist es aber auch, die immer wieder dafür sorgte, das er von vielen seiner Fachkollegen und auch von großen Teilen der Öffentlichkeit in ein politischen Lager gedrängt wurde, in das er sich selber jedoch nicht stellen wollte. Der Vorwurf des Revanchismus war noch einer der harmlosen.

Jedes Ereignis, egal ob historischer, gesellschaftlicher oder soziale Natur ist eine Reaktion auf ein vorhergehendes Ereignis. Es gibt in Bezug und gemessen am Menschen keine "Singularitäten". Die französische Revolution war eine Reaktion auf Hunger und soziale Ungerechtigkeit. Sie war nach der Niederlage Napoleons der Grund für die Restauration in Europa. Genauso war die russischen Revolution der Grund für die Entwicklung der Deutschen Politik nach dem Ende des 1. Weltkriegs.

Wer den Versuch unternimmt, historische Ereignisse isoliert von ihren Zusammenhängen zu betrachten, der gerät leicht in die Gefahr, seine ureigenen politischen Ansichten zu verarbeiten. Das mag zwar dabei hilfreich sein, ein individuelles, oder wie beim Historikerstreit ein kollektives Weltbild herauszuarbeiten, doch mit historischen Objektivität hat es nichts zu tun.

Die Intention Ernst Noltes ist klar. Sein Bestreben ist es festgefügte, aufgezwungene Tabus zu zerbrechen, um die Deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts im Europäischen Zusammenhang zu sehen. Sein "Vergehen" besteht darin, das er das "Denkverbot" bricht und versucht, anhand von Quellenforschung die "Historische Wahrheit" zu Tage zu fördern. Nichts liegt ihm ferner, als die Verbrechen des Nationalsozialismus zu leugnen. Jeder der seine Bücher mit dem notwendigen Respekt für die wissenschaftliche Leistung und der gebotenen Aufmerksamkeit liest, kann dies bestätigen. Wer allerdings seine eigene politische Meinung als Maßstab für historische Objektivität hält, der wird in der Tat Probleme haben, die gut bewiesenen Thesen Noltes zu akzeptieren.