Buchkritik -- Don Winslow -- Broken

Umschlagfoto, Buchkritik, Don Winslow, Broken, InKulturA Mafia, Kartelle, Kriminalität, Gewalt und Korruption, das ist der schriftstellerische Kosmos von Don Winslow. Eine Gesellschaft unterhalb des sichtbaren bürgerlichen Milieus, die nach eigenen Regeln funktioniert und die für Abweichler, Verräter und potenzielle Konkurrenten bestehender Strukturen nur eine Antwort hat: den Tod.

Wie kaum einem anderen US-amerikanischen Autor gelingt es Winslow immer wieder, tief in diese kriminellen Strukturen einzutauchen, deren Protagonisten als zerrissene, mitunter komplexe, meist jedoch als sadistische, bösartige und jenseits aller Moralvorstellungen handelnde Personen zu beschreiben, deren Profession die Illegalität ist.

„Broken“, so der Titel einer Sammlung von sechs Geschichten, beschreibt diesen Kosmos einmal mehr meisterhaft und mit einer in den letzten Romanen des Autors leider nicht immer erreichten Intensität und Tiefe, die aus diesem Werk jedoch wieder einen Meilenstein des Genres macht. „Broken“, nur unzureichend mit „gebrochen“ übersetzt, zeigt die Ambivalenz der Verhältnisse zwischen Jägern, der Polizei und den Gejagten, den Kriminellen, die sich, wie so oft bei Winslow, nur darin unterscheiden, dass die Jäger den offiziellen Staat vertreten, das Gesetz, das sie selber oft übertreten, auf ihrer Seite haben und sich nicht selten auf der gleichen moralischen Stufe befinden, wie ihre „Zielgruppe“ – knallhart erzählt in der ersten Story des Romans, in dem ein Polizist in New Orleans zusammen mit seinen Kollegen die Ermordung seines Bruders auf brutale Weise rächt und vom gesamten Polizeiapparat gedeckt wird.

In allen sechs Kurzgeschichten gibt es eine Konstante: die Figuren, egal auf welcher Seite sie stehen, sind vom gleichen Schlag und stets bereit, die Grenze zwischen Legalität und Illegalität als fließend, als durchlässig zu betrachten und als Gelegenheit zur Profitmaximierung nutzen, bei der nur derjenige gewinnt, der viel Feuerkraft und wenig Skrupel besitzt.

Dass Don Wilson es auch versteht, mit Ironie und Sarkasmus zu punkten, beweist er in „The San Diego Zoo“, in der der Rookie Chris Shea – glänzend beschrieben als ein „Parzival“, ein „tumber Tor“ – noch naiv an das Gute im Menschen glaubt und dementsprechend, sehr zum Vergnügen der Leser, handelt.

Die Fans des Autors dürfen sich zudem auf ein Wiedersehen mit vielen seiner Figuren freuen, die im Kontext der Handlungen auftauchen und bei den Lesern, die mit dem Werk Winslows vertraut sind, so etwas wie wehmütige Erinnerungen wecken dürften, haben sie das Lesepublikum doch in der Vergangenheit mit ihren Geschichten bestens unterhalten.

Mein klarer Favorit des Romans und nur mit Erschütterung und tiefer Betroffenheit zu lesen, ist die letzte Story, in der der für die Border Control tätige Carl Strickland ein mexikanisches Mädchen, das beim Versuch illegal die Grenze zwischen den USA und Mexiko zu übertreten, von ihrer Mutter getrennt wurde, wieder, durch Verletzung aller Vorschriften, mit ihr vereinen will.

„The last Ride“ ist die Geschichte eines Mannes, dessen Glaube an das System sich angesichts der Tatsache, dass durch ein Dekret des von ihm gewählten Präsidenten Kinder von ihren Eltern getrennt werden dürfen und in Käfigen verwahrt werden, bis die Administration eine Entscheidung über deren zukünftiges Schicksal fällt, als Trugschluss erweist und er auf seine Weise dagegen protestiert. In diesem Fall verliert zwar das System. Strickland zahlt dafür jedoch einen hohen Preis.

Diese sechs Kurzgeschichten sind, so mein Fazit, das Beste, was ich in diesem noch jungen Jahr lesen durfte.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 13. April 2020