Buchkritik -- Winfried D'Avis -- Führen mit Sinn und Verstand

Umschlagfoto  -- Winfried D'Avis  --  Führen mit Sinn und Verstand Es war einmal vor nicht allzu langer Zeit, da wurde der gesellschaftliche und politische Dialog mit Argumenten und Vernunft geführt. Es ging um die Sache und weniger um das eigene Ego. Probleme wurden erkannt und unter Zuhilfenahme des Verstandes und guter Argumente gelöst. Diese Ära scheint vorüber zu sein. Selbstdarstellung und Eigenvermarktung haben die Ratio verdrängt. Das Marketing hat sich an die Stelle der korrekten Entscheidungen gestellt.

Winfried D'Avis beschreibt in seinem Buch Führen mit Sinn und Verstand die Auswüchse der, wie er es nennt "Marketingdenke", in unserer Zeit. Politiker und Medienvertreter beschwören bei jeder, meist unpassenden, Gelegenheit die sog. Informationsgesellschaft, in der wir angekommen zu sein scheinen und werden nicht müde, deren Wert für die Gesellschaft zu propagieren. Doch ist diese Aussage überhaupt richtig? Leben wir tatsächlich in einem gesellschaftlichen und politischen Umfeld, dass sich auf rationale Entscheidungen und funktionierende Problemlösungsstrategien gründet?

D'Avis ist da mehr als skeptisch und führt zahlreiche Gegenbeispiele aus Politik, Medien und Wirtschaft auf. Er beschreibt bitterböse die Herrschaft des Zeitgeistes, der mit schillernder Oberflächlichkeit und teilweiser Sinnfreiheit die Oberhand gewonnen hat. Ein Blick in die Programme der Fernsehsender, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat, die Soße der Belanglosigkeit klebt auf jeder Sendefrequenz. Zu Recht hat D'Avis in seinem Buch diesem medialen Unsinn ein ganzes Kapitel gewidmet. Sinnfreie Spielshows und endlose Seifenopern, deren Zweck nur in den für die Sender gewinnträchtigen Werbepausen zu liegen scheint. Talkrunden, die der Selbstdarstellung von Politikern und geltungssüchtigen C-Promies dienen und zweifelhaften Dokushows, die in den Zuschauern das befriedigende Gefühl hinterlassen sollen, dass es immer noch dümmere als sie selber gibt. Wer mit seiner Zeit Besseres anzufangen weiß, als sich mit seichten Nichtigkeiten berieseln zu lassen, der findet im ersten Kapitel dieses Buches genug Gründe, dies auch in Zukunft zu unterlassen. Nichtsdestotrotz ist die Medienschelte aus der Feder des Autors amüsant zu lesen

Man könnte sich auch beliebig ob dieser tragikomischen Informationsfreiheit weiter belustigen, wenn sie nicht ein Symptom für den Zustand des überwiegenden Teils der gesellschaftlichen Realität wäre. D'Avis hat recht, wenn er diesen Zustand heftig beklagt. In Wirtschaft und Politik haben sich ebenfalls sinn- und wissensfreie Terrains gebildet, deren Auswirkungen auf den Staat und die Gesellschaft nicht mehr unter die Rubrik amüsant fallen. Die vom Autor bereits beklagte "Marketingdenke" führt hier ihre mehr als zweifelhafte Herrschaft aus. Von Interesse ist nur noch der vordergründige Gedanke an maximaler, profitorientierter Vermarktung. Was in der Wirtschaft noch verständlich zu sein scheint - obwohl auch hier die Grenzen des gelebten Schwachsinns bereits überschritten wurden (siehe Bankenkrise und die Unfähigkeit der sie verursachenden Manager), das ist für Politik und Pädagogik verheerend.

Nicht die rationale und richtige Entscheidung als Ziel einer problemlösenden Diskussion steht mehr im Vordergrund, sondern die Idee der besseren Vermarktung. Nicht das Sein ist das eigentliche Ziel, sondern der schöne Schein, der sich manchmal leider als die falsche Alternative herausstellt.

Was kann dagegen unternommen werden? Winfried D'Avis Vorschlag ist kurz und prägnant. "PgB", oder das Postulat von der guten Begründung kann die Lösung sein. Darunter versteht der Autor drei Schlüsselqualifikationen, die Führungskräfte in Wirtschaft, Politik, Pädagogik, etc. besitzen müssen. Diese bestehen in rationaler, sozialer und innovativer Kompetenz. Rationale Kompetenz ist die Fähigkeit sachlich, nüchtern und kenntnisreich Entscheidungen zu treffen. Soziale Kompetenz meint den angemessenen und korrekten zwischenmenschlichen Umgang nicht nur mit Mitarbeitern. Innovative Kompetenz ist vorhanden, wenn neue Ideen als Reaktion auf gesellschaftliche Bedürfnisse ressourcenschonend und schnell auf den Markt gebracht werden.

Böse Zungen könnten jetzt allerdings behaupten, dass durch diese Forderung nach genau den drei Kernkompetenzen doch nur alter Wein in neue Schläuche gefüllt werden würde. Dem könnte noch nicht einmal widersprochen werden. Wirft aber nicht die Diskussion, die Winfried D'Avis mit seinem Buch angestoßen hat, ein bezeichnendes Licht auf den aktuellen Zustand unserer Gesellschaft? Leben wir wirklich in einer Informationsgesellschaft, die uns in die Lage dazu versetzt mit Logik und Verstand anstehende Probleme zu lösen? Oder werden wir nicht eher von einer Flutwelle des Banalen überschwemmt, die uns zwar an den intimen Unterleibsübungen der Bewohner des Big-Brother-Containers teilhaben lässt, die aber bereits in der nächsten Minute mit einer weiteren Woge des Trivialen überspült wird?

In einer Zeit, die sich als modern und fortschrittlich deklariert, in der sich jedoch "Führungskräfte" von sog. "Comedians" Rat und Hilfe erhoffen, in der hoch dotierte "Motivierer" ungestraft nahezu jeden Unsinn von sich geben dürfen und damit sogar auf ein williges und zu Allem bereites Managerpublikum treffen, ist das Buch von D'Avis ein längst überfälliges Alarmsignal.

Vielleicht ist es höchste Zeit, sich wieder auf die so oft verlachten "preußischen Tugenden" zu besinnen. Zuverlässigkeit, Bescheidenheit und Ehrlichkeit gepaart mit einer soliden Bildung - das ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Zukunftsgestaltung. Winfried D'Avis ist jedenfalls zuversichtlich, dass wir die Kurve noch bekommen.




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