Buchkritik -- Gary Victor -- Suff und Sühne

Umschlagfoto, Buchkritik, Gary Victor, Suff und Sühne, InKulturA Dieuswalwe Azémar, der letzte Aufrechte in Haiti kämpft diesmal an zwei Fronten gleichzeitig. Er muss sich von seinem Lieblingsgetränk distanzieren, um seinen Job zu behalten. Für prosaisch veranlagte Menschen bedeutet das eine Entziehungskur, für den Inspektor dagegen ein Gang durch die eigenen Höllenkreise. Als wenn dies nicht schon schwierig genug wäre, bedroht eine Intrige auf internationaler Ebene dass Leben seiner Tochter. Grund genug für Azémar, alle Kräfte zu mobilisieren und wieder einmal gegen das in vielfältigen Formen auftretende Böse zu kämpfen.

Gary Victor lässt seine Figur im mittlerweile dritten Roman an seine körperlichen und geistigen Grenzen stoßen und einmal mehr ist der Inspektor gezwungen, dem Recht auf eigenwillige Weise behilflich zu sein. Als eine bewaffnete junge Frau in seiner Wohnung auftaucht um den angeblichen Selbstmord ihres Vaters, ein General des UN-Militärkontingents zu rächen, ist es kein Traum seines Entzugsdeliriums, sondern harte Realität. Konfrontiert mit handfesten Beweisen in Form von Fotos, beginnt Dieuswalwe Azémar an sich zu zweifeln und befürchtet endgültig seinen Verstand und seine Erinnerungen verloren zu haben.

"Suff und Sühne" ist ein harter und desillusionierender Roman über die politische und gesellschaftliche Realität Haitis. Das Land ist ein Spielball des Organisierten Verbrechens, dessen Einfluss auf jeder Ebene spürbar ist. Korruption ist an der Tagesordnung und wer sich ihr verweigert, dessen Tage sind gezählt. Die Kräfte, die eigentlich die chaotische Situation Haitis befrieden sollen, sind deren Profiteure, denn in einem System, das weder Recht noch Gesetz kennt, stecken ungeheure Profitmöglichkeiten. Alteingesessene Familien beuten die Insel ebenso aus, wie eine international agierende Mafia.

Wenn es stimmt, und vieles spricht dafür, dass ein Roman mehr über den Zustand einer Gesellschaft aussagt, als jede noch so voluminöse soziologische Untersuchung, dann trifft das besonders für die Bücher von Gary Victor zu. Der Einzelne, hier in Gestalt des Inspektor Dieuswalwe Azémar, wird immer wieder mit dem Negativen menschlicher Abgründe konfrontiert und läuft permanent Gefahr, selber ein Glied in der Kette aus Gewalt und Chaos zu werden. Das ausgerechnet ein schwerer Alkoholiker die letzte Bastion zivilisatorischer Errungenschaften darstellt, ist eine bittere Ironie, die dem Leser aus jeden Roman Victors entgegenspringt.

Die inneren und äußeren Dämonen, gegen die Azémar kämpft drohen diesmal seine Kräfte zu übersteigen und erst durch die Bedrohung des Lebens seiner Tochter mobilisiert er alle seine Reserven, freilich um einen hohen Preis. "Suff und Sühne" ist neben einem hervorragend geschriebenen Kriminalroman, der nicht ein einziges überflüssiges Wort beinhaltet, auch wieder ein Panorama über die Ausbeutung Haitis, die, immer unter dem Deckmantel sog. internationaler Hilfen, zu mitunter ungewöhnlichen Konstellationen führt.

Auch der Inspektor weiß darum, dass er an der Realität nichts ändern kann. Nichtsdestoweniger ist er bemüht, sein Rechtsverständnis zur Geltung zu bringen und sich dadurch unfreiwillig den Umständen anpassen muss und gezwungen ist, die gleichen Methoden wie seine Gegner anzuwenden.

"Wenn er nicht käuflich ist, bricht unser Universum zusammen", so einer der kriminellen Nutznießer des haitianischen Chaos am Schluss des Romans. Aus genau diesem Grund ist Azémar ein Guter, den die Umstände zum Bösen zwingen.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 11. März 2017