Buchkritik -- Steven Uhly -- Mein Leben in Aspik

Umschlagfoto  -- Steven Uhly  --  Mein Leben in Aspik Die Suche nach den Wurzeln, das Stöbern in der eigenen Familienchronik ist spannend. Man kann aber auch mit Tatsachen konfrontiert werden, die besser vom barmherzigen Dunkel der Geschichte verdeckt geblieben wären. Spiegeln sich all die unbekannten Geheimnisse der eigenen Sippe in den Mitgliedern wieder oder hat jeder die Chance auf ein selbst bestimmtes Leben? Die Auswahl unserer Freunde treffen wir nach unseren eigenen Regeln. Die Verwandten können wir uns jedoch nicht aussuchen. Oder bestimmt etwa unsere familiäre Herkunft auch den Freundeskreis? Wie auch immer, die Familie werden wir niemals los.

Steven Uhly hat in seinem Debütroman Mein Leben in Aspik ein fulminantes Familienepos vorgelegt, das mit satter Sprache und grellen Bildern die Suche des Autors als Icherzähler nach Antworten zu seiner Familiengeschichte Revue passieren lässt. Der Leser wird auf eine Zeitreise mitgenommen, bei der nichts so ist und bleibt, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Die Oma, als erste Quelle der Nachforschungen, erzählt ihrem Enkel zwar viele Begebenheiten aus der Vergangenheit, doch schnell wird klar, dass diese mit Vorsicht zu genießen sind. Die vom Erzähler stets verehrte Großmutter bedient sich nämlich vieler kreativer erzählerischer Techniken, um die Wahrheit zu verschleiern.

Uhly versteht es, den Leser zu verunsichern. Das Tempo seiner Erzählung ist rasant, die Bilder hart bis zur Groteske und mehr als einmal wechseln die Erzählebenen so schnell, dass der Leser verwirrt innehält und die verworrenen Familienbande vor seinem geistigen Auge entwirren muss. Die Beziehungen der Familienmitglieder unter-, über-, hinter-, und miteinander sind gleichzeitig befremdend und erregend. Die Stimme im Kopf des Lesers meldet sich oftmals, gewissermaßen als Freud`sches Über-Ich, lautstark mit Protest, das Freud`sche Es im Kopf allerdings will unbedingt genussvoll weiterlesen. Den Autor kümmert denn auch keine Psychologisierung seiner Figuren, sondern er lässt sie munter und stramm weiter agieren.

Als ob diese Spannung nicht bereits genug wäre, spielt der Autor bewusst mit dem lustvollen Brechen von Tabus. Die Großmutter wird vom Enkel geschwängert, dessen Vater zeugt mit ihr eine Tochter, welche wiederum vom Icherzähler ein Kind bekommt. Mit Erschrecken und gleichzeitiger Faszination muss der Enkel erkennen, dass seine Familie ihren Lebensunterhalt mit dem Drehen von Pornofilmen verdient hat und dabei engagiert vor der Kamera mitgespielt hat.

Eine der vielen skurrilen Figuren des Romans ist der Zuhälter Plaschke, den der Erzähler im Gefängnis kennenlernt. Mit ihm kommt eine Metaebene ins Spiel, die den Leser schallend lachen lässt und die nur noch von der Gestalt des Großvaters übertroffen wird, dem es gelingt, als Jude der ein Konzentrationslager überlebt hat, anerkannt zu werden, obwohl er in Wirklichkeit der brutale Leiter dieses Vernichtungslagers war. Plaschke kennt immerhin Habermas und dessen These des "gewaltfreien Diskurses". Diese Idee wird von Uhly in seinem Roman derart oft ad absurdum geführt, dass es eine Freude ist. Von wegen gewaltfrei - das Leben ist, wie es ist und das bedeutet auch gerade Gewalt. Gewalt in vielen Facetten und Manifestationen. In Beziehungen, in der Familie, im täglichen Leben und in den Vorstellungen und Träumen.

Steven Uhly hat mit Mein Leben in Aspik einen Roman geschrieben, der weit entfernt ist von der üblichen Reflexions- und Abstraktionsliteratur. Sein Thema ist das Leben gerade mit den Untergründen und Verborgenheiten, über die nicht gern gesprochen wird, die den Leser aber gleichsam erregen und verwirren. Wenn Sie also bei der Lektüre manchmal rat- und sprachlos ist, dann ist das kein Grund zum Verzweifeln. Benutzen Sie den Roman als Vorlage um zu überlegen, wie viel von Ihren Vorfahren in Ihnen selber steckt und wieweit Sie sich von denen gelöst glauben zu haben oder nicht.




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