Buchkritik -- Bettina Raddatz -- Die Staatskanzlei

Umschlagfoto  -- Bettina Raddatz  --  Die Staatskanzlei Ein leitender Mitarbeiter der niedersächsischen Staatskanzlei wird in seinem Haus ermordet. Verdächtige gibt es viele, war der Spitzenbeamte doch weder in seinem beruflichen noch privaten Umfeld besonders beliebt. Politik und Medien sind in heller Aufregung und die ermittelnde Kriminalrätin Verena Hauser gerät unter großen Druck, diesen Fall schnell zu lösen.

Der Kreis der möglichen Verdächtigen erweitert sich dramatisch, als bekannt wird, dass der Bruder des Hausmeisters einer radikalen islamischen Splittergruppe angehört. Die geschiedene Ehefrau des Ermordeten gerät ebenfalls ins Visier der Polizei und wird aufgrund von Indizien als Tatverdächtige in Haft genommen. Ein weiterer Mord entlastet die Ex-Frau des politischen Beamten und bringt die Ermittler erneut unter Zugzwang.

Die Leser, die bereits den ersten Band Der Spitzenkandidat der Trilogie gelesen haben, begegnen alten Bekannten. Verena Hauser, die ermittelnde Kriminalbeamtin, hat die üblichen Probleme mit ihrem Liebesleben. Ihr Kollege Stollmann, immer auf der Seite der "Kleinen Leute", grantelt wie eh und je, wenn er mit der übertriebenen Selbstliebe und der Egozentrik von Politikern und Vorgesetzten konfrontiert wird. Ein Wiedersehen gibt es auch mit dem sympathischen aber zu seinem Leidwesen etwas übergewichtigen Regierungssprecher Bernd Wagner. Der ist dann auch wieder die einzige Figur im politischen Getriebe, die menschliche Wärme und Zuneigung ausstrahlt, jedoch oftmals nicht die Kraft und die Courage hat, um seine Meinung zu äußern. Gerade diese menschliche Schwäche ist auch der Grund, weshalb er im Lauf des Romans zu einer weiteren Zielperson des "Beamtenkillers", wie ihn die Presse nennt, wird.

Niedersachsen scheint in Bezug auf die besonders intensive Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft ein Biotop der Extraklasse zu sein. Was man im Allgemeinen unter dem Begriff Korruption summieren kann, ist in den Romanen von Bettina Raddatz Programm. Da gibt es Unternehmer, die es verstehen, geschickt zu manipulieren, um ihre Interessen durchzusetzen. Da kriechen Politiker vor Wirtschaftsführern zu Kreuze, um ja nur finanzielle Unterstützung für ihren nächsten Wahlkampf zu erhalten. Ost- und südeuropäische Kriminelle waschen die Gelder der Organisierten Kriminalität in Immobilienprojekten und der Polizei werden politisch die Hände gebunden.

War da nicht gerade im wirklichen Leben wieder die Verfilzung von Politik und Wirtschaft in die Schlagzeilen geraten? Wurde nicht auch die Ex-Frau eines ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten auf die Gehaltsliste einer Anwaltskanzlei gesetzt? War der "Nord-Süd-Dialog" - im Roman ist es der "Ost-West-Dialog" - nicht in Wahrheit eine Veranstaltung um die herrschenden Eliten noch enger zu verfilzen?

Bettina Raddatz, jahrelang in der niedersächsischen Staatskanzlei in Hannover tätig, weiß, wovon sie schreibt. Einiges von dem, was ansonsten hinter verschlossenen Türen stattfindet, hat jetzt den Weg in einen spannenden und gleichzeitig entlarvenden Roman gefunden. Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass die Realität weitaus schlimmer ist, als es die Autorin, der aufgrund ihrer nachberuflichen Schweigepflicht eine große Hürde in Bezug auf Äußerungen zum politischen Tagesgeschäft gesetzt wurde, in ihrem Buch beschreibt.

Was in dem Roman nur ansatzweise zu lesen ist, nämlich der Einfluss der Organisierten Kriminalität auf politische Entscheidungen, dürfte in Wahrheit längst der Fall sein. Wenn sich ein ranghoher ehemaliger Agent des KGB und ein skrupelloser Geschäftsmann in Niedersachsen zusammenschließen um eine illegale Transplantationsklinik zu errichten, in der auf höchst kriminelle Weise Asylbewerbern, also Menschen, die im Prinzip niemand vermisst, Organe entnommen werden, um sie an den Meistbietenden zu verkaufen, dann ist das vielleicht nicht einmal mehr nur Fiktion.

Die Staatskanzlei von Bettina Raddatz ist ein Roman, der gar nicht so weit von der Realität entfernt geschrieben wurde. Scheinheiligkeit und Heuchelei sind die wesentlichen Eigenschaften derjenigen, die zu politischem und wirtschaftlichem Einfluss gelangt sind. Das Wahlvolk hat da nur noch die Rolle des zahlenden Zuschauers. Der zweite Teil der Trilogie sollte, ebenso wie bereits der erste, zur Pflichtlektüre informierter Wähler werden.

Es ist wieder einmal dem Wiener Braumüller Verlag zu verdanken, dass dieser Roman erscheinen konnte. Es hat sich anscheinend kein deutscher Verlag gefunden, der zur Veröffentlichung bereit gewesen wäre. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Tatsache ist jedenfalls, dass nach dem Erscheinen des Romans Der Spitzenkandidat geplante Lesungen der Autorin abgesagt wurden und ihr Buch verdächtig schnell aus den Fenstern der Buchhandlungen verschwunden war.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!




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