Buchkritik -- Richard Sennett -- Der flexible Mensch

Umschlagfoto  -- Richard Sennett  --  Der flexible Mensch Das Ende des 20. Jahrhunderts brachte viele grundlegende Änderungen mit sich. Von vielen, lange bewährten Eigenschaften und Errungenschaften mußten sich die Menschen der großen Industrienationen verabschieden. Die Industrie selber, jahrelang ein Garant für Wachtstum und Vollbeschäftigung, mußte neuen Produktionsmethoden und Vertriebswegen weichen. Das Ergebnis ist Massenarbeitslosikeit und politische Ratlosigkeit.

An die Stelle von lebenslangen Beschäftigungsverhältnissen tritt zunehmend die Forderung der "Neuen Ökonomie" nach flexiblen Mitarbeitern. Soziale Mobilität und die Bereitschaft sich, wenn nötig, beruflich vollkommen neu zu orientieren stehen an erster Stelle des Forderungenkatalogs von Arbeitgebern. In genau dem gleichen Maß, wie Arbeit (um Produktionskosten zu sparen) heutzutage auf viele Kontinente verteilt werden kann, sind ganze Industriezweige aus dem öffentlichen Berufsbild verschwunden.

Doch wie sieht die Realität dessen aus, was von Arbeitgebern gefordert und von Politikern mangels eigener Vorstellungen nachgebetet wird?

Richard Sennett ist in seinem Buch "Der flexible Mensch" dieser Frage nachgegangen und zu teilweise erschreckenden Ergebnissen gekommen. Menschliches Verhalten ist grundlegend auf stabile soziale Kontakte programmiert. Diese jedoch werden von den Forderungen des neuen Kapitalismus untergraben. Flexibilität bedeutet in erster Linie, sich an die Orte zu begeben, an denen die Arbeit ist. Der Aufbau stabiler Freundschaften und Beziehungen, die Mitarbeit in den jeweiligen Interessen- und Freizeitgruppen eines Wohnortes kann auf diese Weise nicht mehr stattfinden. Die Folge ist Vereinsamung und soziale Isolation.

Anhand von Fallbeispielen zeigt Sennett die Auswirkungen dieser neuen Form des Kapitalismus. Die moderne Arbeitswelt sieht er als eine Ansammlung von Projekten, denen der jeweilige Bezug und die Identifikation der daran Beschäftigten fehlt. Dieses neue, wie Sennett es nennt "Regime" gerät jedoch in Konflikt mit dem auf Langfristigkeit angelegten menschlichen Charakter. Ohne die Gewißheit dessen, was in der Zukunft passiert, ohne die Möglichkeit planvoll seine Zukunft zu gestalten, ist der Mensch dazu verdammt ein moderner Nomade zu werden, der von Arbeitstelle zu Arbeitsstelle zieht, um sein Leben bestreiten zu können.

Flexibilität bedeutet nichts anderes, als sich seiner Tätigkeit zu entfremden, da die Dimensionen dessen, was bearbeitet wird, aufgrund von Teamarbeit immer unüberschaubarer werden. Es mögen hochqualifizierte Spezialisten sein, die ein Projekt vorantreiben, doch jeder einzelne der daran arbeitet wird, so Sennett, immer nur sein jeweiliges Aufgabengebiet sehen und niemals den Zusammenhang in dem es steht. Ist das Projekt beendet, dan zieht die Karavane weiter.

Doch auch die vielverlangte Flexibilität ist nutzlos, wenn ganze Arbeitsgebiete in Länder verlegt werden, in denen zwar ebenfalls Spezialisten arbeiten, dies jedoch zu einem Preis, der weit unter dem liegt, was im ursprünglichen Land zu zahlen wäre.

Sennett unterwirft die Neue Wirtschaft einer vehementen, nicht unberechtigten Kritik. Die Gefahr von sozialer Vereinzelung durch neue Formen des Arbeitens ist in der Tat sehr groß. Dieses Buch beleuchtet zwar in erster Linie die amerikanischen Unternehmensverhältnisse, doch im Rahmen der weltweit operierenden Konzerne zeigt es uns auch, was in Europa passieren kann. Viele Dinge sind bereits Realität geworden. Verschlankung, Straffung und Synergie-Effekte sind jeweils nur Euphemismen für Arbeitslosigkeit und Stellenabbau. Interessanterweise weist Sennett jedoch nach, dass nicht jede Rationalisierung zum Erfolg führt. In über 60% in einem bestimmten Zeitraum untersuchten Firmen, die sich eine "Schlankheitskur" verordneten, führte diese zu einer Verschlechterung des Betriebsergebnisses.

In Zeitem wie diesen, die auf eine Zukunft weisen, in der das Shareholder Value über den Interessen der dafür Arbeitenden steht, in diesen Zeiten ist es schwer, an dieser Neuen Wirtschaft etwas grundlegendes zu ändern. Dividenden stehen in der Realität eben immer noch über berechtigte individuelle und soziale Interessen. Doch das sollte niemand daran hindern, sich Gedanken zu machen über die Zeit, die diesem neuen Kapitalismus folgt. Richard Sennett hat damit schon mal (gut) angefangen.




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