Buchkritik -- Mika Biermann -- Saubere Stadt

Umschlagfoto, Mika Biermann, Saubere Stadt, InKulturA 2013 ist Marseille die Kulturhauptstadt Europas. Ein schöner Titel, dessen Konsequenz darin besteht, erst einmal keine zu haben. Natürlich soll Marseille sauber werden und bleiben, garantieren die einfallenden Kulturtouristen doch kräftigen Umsatz und auch für das notorisch leere Säckel der Stadtverwaltung bleiben einige Euronen übrig. Mika Biermann legt mit "Saubere Stadt" jedoch ein Büchlein vor, das den Rahmen des Gewohnten, des immer schon so Gewesenen, in jeder Hinsicht sprengt.

Dort wo verbissen an der Beseitigung des Müll, der immerhin ein Produkt der Massengesellschaft ist, gearbeitet wird, bleibt immer noch mehr Müll unentsorgt. Genau hier fühlt Madeleine-Marie Rofil sich pudelwohl, hier spürt sie, dass sie lebendig ist.

Madeleine-Marie Rofil steht wegen Mordes an ihrem Ehemann vor Gericht und Mika Bierman lässt seine Leser an der Vorgeschichte dieses Prozesses teilhaben. Verheiratet mit einem unerträglichen Prinzipienreiter, der die Sinnlosigkeit seiner Existenz mit langen Arbeitszeiten und Ekel gegenüber allem, was nicht in sein beschränktes Weltbild passt, überspielt, beginnt sie schon bald nach der Hochzeit ihre exzessive Freude für Unordnung, Schmutz und Müll zu kultivieren.

Der Leser sei gewarnt, "Saubere Stadt" ist kein Buch für diejenigen, die vom Weißen Riesen verführt und von Meister Proper schwanger sind. Wer jedes Staubkorn sieht, bevor es überhaupt gefallen ist, der sollte seine Hände von diesem Buch lassen.

Die Geschichte ist subversiv, zeigt sie doch das, was unter der bräsigen Schicht des Normalen lauert: der Abfall dessen, was die bürgerliche Gemütlichkeit erst ermöglicht. Sie ist schräg, denn Madeleine spielt bei ihrer Verteidigung vor Gericht gnadenlos mit den zweifelhaften Prinzipien der Gesellschaft, die, zumindest im Gerichtsverfahren gar nicht bemerkt, aufgrund ihrer eigenen Hybris, die Zivilisation zu vertreten, gar nicht bemerken kann. Die Geschichte ist satirisch, demaskiert sie doch die Selbstzufriedenheit der Konsumgesellschaft, die ihre Hinterlassenschaften schamhaft verschweigt.

Da ist Madeleine aus ganz anderem Holz geschnitzt. Der Leser wird da mit Einigem konfrontiert und wer Biermanns Beschreibung ihrer Besteigung eines Obdachlosen auf der Müllkippe ohne das Gefühl baldigen Erbrechens lesen kann, für den ist "Saubere Stadt" ein Stück Gegenwartsliteratur, das kräftig gegen den Strich bürstet.

Ein Lesevergnügen der besonderen Art.




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