Buchkritik -- Michael J. Sandel -- Was man für Geld nicht kaufen kann

Umschlagfoto, Michael J. Sandel, Was man für Geld nicht kaufen kann Die Finanz- und Bankenkrise hat neben den globalen monetären Verwerfungen einen kuriosen Nebeneffekt. Seit 2008, dem Jahr, in dem fast die gesamte Weltwirtschaft durch den Zusammenbruch von Spekulationsblasen zerstört wurde, deren Verursacher jedoch nicht für ihr kriminell anmutendes Verhalten zur Rechenschaft gezogen wurden, sondern die Regierungen die Folgekosten für Banken- und Staatsrettungen dem Steuerzahler in Rechnung stellten, hat eine bemerkenswerte Transformation wissenschaftlicher Fachbereiche stattgefunden.

Die Ökonomie war plötzlich in aller Munde. Anthropologen (David Graeber) entlarvten den Kredit als scheinbar verantwortlich für die Macht der Herrschenden. Ökonomen (Tomas Sedlacek) bezeichneten ihr Fachgebiet gar als Schlachtfeld für einen religiös konnotierten Kampf zwischen Gut und Böse. Da war es natürlich nur noch eine Frage der Zeit, bis endlich auch ein Philosoph den Markt der medialen Eitelkeiten betritt und seine Sicht der Dinge zum Besten gibt.

Michael J. Sandel, Professor für Politische Philosophie an der Harvard-University, stellt in seinem Buch "Was man für Geld nicht kaufen kann" die Frage nach den moralischen Grenzen des Marktes - so jedenfalls verspricht es der Untertitel.

Der Mann muss doch irgendwo Recht haben, füllt er doch Hörsäle und ist dafür verantwortlich, dass auf einmal Wirtschaftsjournalisten ihr Herz fürs Feuilleton entdecken und sogar Kulturmagazine inzwischen das Wort Ökonomie fehlerlos schreiben können.

Allein wer sein Buch liest und sich dabei immer einen kritischen Seitenblick auf die Elogen der schreibenden Zunft bewahrt, der bemerkt schmerzlich die Divergenz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und Text. Den Autor trifft die ebenso banale wie auch inzwischen abgeschmackte Erkenntnis "Geld regiert die Welt". Das ist ja nun wirklich nichts Neues und auch sein philosophischer Klarblick bezüglich einer zur Marktgesellschaft mutierten Marktwirtschaft ist nicht unbedingt - um es salopp zu formulieren - das Gelbe vom Ei.

Gut 300 Seiten führt Sandel - ganz im Gegensatz zum Titel - dem Leser vor, was man heute alles für Geld bekommt. Man kann sich auf der Terminliste eines Arztes nach vorne zahlen, ebenso durch die Entrichtung einer kleinen Gebühr an den Schlangen der Flughafenabfertigung vorbei. Schülern wird das Lernen bzw. der Lernerfolg durch finanzielle Anreize schmackhaft gemacht. Drogenabhängigen Frauen wird durch einen finanziellen Betrag eine dauerhafte Alternative zu ungewollten Schwangerschaften geboten. In Baseballstadien - und das trifft den Autor anscheinend ganz besonders hart - gibt es VIP-Logen, die dem wirklichen Fan, Sandel, den Spaß am Sport verderben.

Natürlich ist nicht alles was möglich ist, auch philosophisch-ethisch oder religiös-moralisch wünschenswert. Von Arbeitgebern abgeschlossenen Lebensversicherungen für ihre Angestellten sind zweifellos fragwürdig, wenn bei deren Ableben die Firma Kasse macht. Doch, und das gilt es zu bedenken, hat schließlich das Unternehmen die Prämien gezahlt und nicht der Arbeitnehmer.

Aber bleiben wir doch bitte auf dem Teppich. Aus welchem Grund sollte es einem Sponsor verwehrt bleiben, ein Sportstadion, zu dessen Bau er einen großen finanziellen Teil beigetragen hat, mit seinem Firmennamen zu schmücken? Warum ist es in den Augen Sandels moralisch fragwürdig, wenn eine U-Bahnstation den Namen einer großen Firma trägt? Ist es wirklich verwerflich, wenn Menschen, die beruflich eingespannt sind und viele Termine haben, sich gegen Zahlung einer Gebühr einen Wunschtermin beim Arzt geben lassen?

Michael Sandel bedient geschickt das Klischee von der Gleichheit aller. Das bringt ihm in einer Zeit, in der es angesagt ist, die Rolle des Geldes als Ungleichmacher zu entlarven, durchaus viele Sympathien ein, geht leider an der Sache vorbei.

Nicht die Frage, ob es moralisch-ethisch einwandfrei ist, sich durch Geld Vorteile in Bezug auf Komfort, Wartezeiten oder Lebensqualität zu erkaufen - das ist, historisch gesehen, ein Bestandteil menschlicher Kultur - ist entscheidend, sondern die Frage, ob damit auch Unterschiede, sagen wir z. B. in medizinischer Qualität, manifestiert werden.

Darauf, und das ist das große Manko dieses Buches geht der Autor nicht ein. Natürlich, und das ist eine Binsenweisheit, kann man sich für Geld nicht alles kaufen. Natürlich, und auch das ist ein Allgemeinplatz, können sich diejenigen, die über größere finanzielle Ressourcen verfügen, auch mehr leisten. Dadurch wird jedoch aus der Marktwirtschaft noch lange keine Marktgesellschaft.

Der Autor verläuft sich, und das ist wohl einer der Gründe für seinen Erfolg, in Oberflächlichkeiten. Seine scheinbare Kritik an der Marktgesellschaft ist eher systemstabilisierend, beruhigt sie doch Leser und Zuhörer allein dadurch, das sie eben die Frage nach dem System nicht stellt, sondern sich in Banalitäten verliert.

Ausschlaggebend, um bei den Beispielen Sandels zu bleiben, ist nicht die Tatsache, dass man sich gegen Geld an Abfertigungsschlangen vorbei, einen Zeitvorteil erkaufen kann, sondern, ob das Flugzeug - für alle Fluggäste - sicher, gut gewartet und die Piloten nüchtern sind. Folgt man den Ausführungen des Autors, so müsste es moralisch-ethisch ebenfalls zweifelhaft sein, ein Ticket für die First Class zu erwerben, kommt man doch dadurch gegenüber den Passagieren der Economy Class u. a. in den Genuss kulinarischer Bevorzugung.

Nicht der bezahlte Wunschtermin beim Arzt ist wichtig, sondern die Frage, ob derjenige, der keine Zahlung entrichtet und der brav im Wartezimmer seine Zeit verbringt, die gleiche kompetente Behandlung erfährt, wie derjenige, der lange vor zum Arzt hinein gebeten wird.

Ein Individuum will sich, das ist nun einmal die menschliche Natur, von einem anderen Individuum unterscheiden. In einer funktionierenden Marktwirtschaft ist das der Antrieb für gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt. Leistung wird belohnt. Diese Tatsache, das Nichtbelohnen individueller Leistungsbereitschaft, ist der Grund, warum alle totalitären Ideologien gescheitert sind.

In einer weit entfernten Zukunft mag es der Menschheit vielleicht gelingen allem Materiellen zu entsagen. Doch hier und heute befindet sie sich in der Situation, dass Geld die Welt regiert. Die Frage, die sich Michael Sandel eigentlich hätte stellen müssen, ist die, ob alle Menschen überhaupt die gleichen Möglichkeit besitzen, sich in Besitz des momentan angesagten gesellschaftlichen Schmiermittels - Geld - zu bringen.

Der eigentliche Skandal liegt darin, dass viele gesellschaftliche Gruppen, ja dass ganze Staaten nicht am globalen Reichtum partizipieren, weil sie von den wirklich Mächtigen dieser Welt daran gehindert werden. Aber darüber will oder darf auch ein Harvard Professor wohl nicht sprechen.




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