Buchkritik -- Ernst von Waldenfels -- Nikolai Roerich

Umschlagfoto  -- Nikolai Roerich, Künstler und Visionär oder Opportunist und genialer Betrüger? Ein Suchender nach der höheren Wahrheit oder ein Mann, der zeit seines Lebens unter dem Einfluss seiner machtbewussten Frau stand? Das Leben und Werk dieses, in den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in weiten Kreisen bekannten Künstlers ist aktuell etwas in Vergessenheit geraten, bzw. fast nur noch Freunden und Anhängern esoterischer Zirkel bekannt. Ernst von Waldenfels hat mit seiner Biografie über diesen faszinierenden, aber auch zwiespältigen Menschen ein seit Langem bestehendes Desiderat erfüllt.

Roerich, geboren am 27. September 1874 in Sankt Petersberg, der Hauptstadt des Zarenreiches, war bereits früh daran interessiert, seiner Herkunft mithilfe von Gerüchten und Legenden einen geheimnisvollen Hintergrund zu verschaffen. So sollte z. B. das Geschlecht der Roerichs bis auf Rurik, den aus Skandinavien kommenden mythischen Begründer der Rus zurückzuführen sein.

Seine jahrelangen intensiven Recherchen haben den Autor unter anderem in die USA, nach Indien und in die Mongolei geführt und es ist ihm gelungen, sich dezidiert dem Phänomen Roerich nähern. Nikolai Roerich war ohne Zweifel ein Mann mit vielen Facetten, der schon während der Zeit Nikolaus II ein erfolgreicher Künstler war. Bereits früh erwachte sein Interesse für archäologische Forschungen. Neben der Malerei entwarf er Bühnenbilder und Kostüme.

Eine dramatische Wendung erfuhr sein Leben und seine Karriere durch die Heirat mit Helena Shaposhnikov im Jahr 1901. Diese Frau, intelligent, gebildet und mit einem überaus energischen Willen ausgestattet, sollte bis zu seinem Tod im Jahr 1947 seine große Muse sein. Nach dem Ausbruch der Russischen Revolution im Jahr 1917 emigrierte das Paar in die USA.

Hier wurde unter dem starken Einfluss von Helena Roerich ein esoterischer Zirkel gegründet, der Nikolai Roerich zu seinen ausgedehnte Reisen nach Tibet, China, Sibirien und in die Mongolei führte. Im indischen Kulla-Tal, wo er am 13. Dezember 1947 verstarb, fand der Künstler seine zweite Heimat.

Wer war dieser Mensch Nikolai Roerich? Zweifelsohne ein Opportunist, dem es gelang, sich sowohl unter dem Zaren Nikolaus II, als auch unter den bolschewistischen Revolutionären eines großen Kreises von Anhängern und Bewunderern zu versichern. Im Rahmen dessen schreckte er auch nicht vor einer Zusammenarbeit mit der russischen Geheimpolizei zurück. Seine wendige Persönlichkeit brachte ihn ebenfalls in engen Kontakt mit der US-amerikanischen Politik. In Henry Wallace, dem Landwirtschaftsminister unter Roosevelt, fand er einen weiteren engen Verbündeten.

Über allem stand ein spiritueller Führer namens Morya, der sich in den Träumen von Helena Roerich und in den von ihr abgehaltenen spiritistischen Sitzungen manifestierte und einen bedeutenden Einfluss auf das Leben der "Großmacht Roerich", wie der russische Schriftsteller Leonid Andreev den Wirkungskreis von Roerich nannte, ausübte.

Morya, bzw. Helena war dann auch die treibende Kraft, die hinter Roerichs Suche nach den "Meistern der Weisheit" und seinen Reisen nach Tibet und der Mongolei stand. Nun ist es eine Sache, mit einem spirituellen Führer zu kommunizieren und eine andere, sein Leben nach dessen Prophezeiungen auszurichten. Es war für Helena Roerich, Moryas Sprachrohr, nicht immer einfach, die Realität mit den Weissagungen und Anweisungen ihres Führers in Einklang zu bringen.

Zeit ihres Lebens war die Finanzierung sowohl der Expeditionen als auch des 1921 in New York gegründeten Master Institute of United Arts mehr als unsicher. Morya hüllte sich diesbezüglich in interpretationsbedürftige und ungenaue Aussagen und deshalb musste, ganz irdisch, der finanzkräftige Louis Horch, ein US-Amerikaner mit jüdischen Wurzeln, die Rechnungen begleichen.

Ernst von Waldenfels beschreibt mit seiner Biografie über Nikolai Roerich das Leben eines Menschen, dessen Suche nach der letzten Weisheit erfolglos geblieben ist. Der Autor zeigt aber auch das Bild eines gnadenlosen Opportunisten, wenn es um die eigenen Interessen ging. Nikolai Roerich, ein Mann, der sich dem Willen seiner Frau und dessen Manifestation in der Phantasiegestalt Morya unterwarf, war im Grunde eine tragische Figur.

Es ist Ernst von Waldenfels zu verdanken, mit dieser ersten kritischen Biografie den Menschen Roerich als vielschichtige und faszinierende Persönlichkeit dargestellt zu haben. Mystiker, Träumer, Künstler, Opportunist und Suchender. Nikolai Roerich war von allem etwas.




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