Buchkritik -- Jürgen Drews -- Der Weg nach Repente

Umschlagfoto, Buchkritik, Jürgen Drews, Der Weg nach Repente, InKulturA Der ostdeutsche Wissenschaftler Bernhard Mohr ist dabei sein Leben, das seit seinem missglückten Fluchtversuch aus der DDR aus den Fugen geraten ist, endlich wieder in normale Bahnen zu lenken. Freigekauft von der Bundesrepublik, folgt er einem Kollegen und Freund nach Basel, um dort eine Forschungsgruppe aufzubauen. Doch die Vergangenheit holt ihn schneller ein, als er es sich vorstellen konnte, denn anlässlich der Einweihungsfeier einer wissenschaftlichen Einrichtung in Heidelberg begegnet er wieder seinem Peiniger, dem ehemaligen Stasi-Offizier Norbert Elze, und erneut droht die Vergangenheit seine ohnehin fragile Gegenwart aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Doch die Umstände haben sich geändert und Mohr, der nach diesem für ihn traumatischen Treffen wieder schmerzhaft an den Verlust seiner Frau und seiner zwei Kinder erinnert wird, beschließt in die Offensive zu gehen und Elze für seine Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Während seiner Recherchen über Elzes Leben in der Bundesrepublik wird der Kreis, den Mohr um den alten Stasi-Offizier zieht immer enger und eines Tages findet in dem kleinen verlassenen brandenburgischen Ort Repente ein letztes dramatisches Treffen statt.

Jede Form von Diktatur, unabhängig von ihrer politischen Ideologie, hat einen inneren Feind, den es zu kontrollieren und gegebenenfalls sogar zu vernichten gilt. Das Individuum, frei und selbstbestimmt, ist eine permanente Herausforderung für das System und muss, so das Credo des real existierenden Sozialismus in der ehemaligen DDR, so früh wie möglich auf die Linie der Partei gebracht werden.

„Der Einzelne ist nichts. Das sozialistische Kollektiv ist alles.“ Das erfährt Mohr, seit seiner Kindheit unangepasst und damit politisch verdächtig, bereits während seiner Schulzeit, als ihn ein banaler Scherz um die Möglichkeit des Studiums bringt und er es erst durch die Fürsprache eines tief im System verhafteten Wissenschaftlers doch noch aufnehmen kann. Seine Fähigkeiten und die wissenschaftliche Kreativität, die er permanent unter Beweis stellt, sichern ihm einen bevorzugten Platz im System, der jedoch seine erst innere, aber immer öfter auch verbal geäußerte Opposition gegen die Politik der DDR nicht verstummen lässt.

Keine Diktatur kann überleben, hätte sie nicht zahlreiche Mitläufer, Spitzel und Parteigänger. Norbert Elze, überzeugter Sozialist und Stasi-Offizier, verfolgt seit Mohrs fatalem Scherz dessen weiteres Leben und taucht anlässlich seiner Festnahme und der Anklage wegen Kindesentführung und Republikflucht plötzlich wieder auf und beginnt, sichtlich berauscht von seiner Macht, das Leben des „Staatsfeindes“ zu zerstören.

Diktaturen deformieren Menschen und die Mechanismen, derer sie sich bedienen, seziert Jürgen Drews in seinem Roman mit einer Akribie, die den Leser tief eintauchen lässt in die Unmenschlichkeit eines Systems, das abweichendes Verhalten von der politisch erlaubten und eng begrenzten Linie unter Generalverdacht stellt.

Ein Apparat, der die Macht besitzt Menschen zu zerstören, hat eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf Personen, die, ausgestattet mit Neid-Komplexen, Minderwertigkeitsgefühlen und Ressentiments, Nietzsche spricht, freilich in einem anderen Zusammenhang, von den „Zu-kurz-Gekommenen“, sich nur allzu gern dem System als „Volkserzieher“ zur Verfügung stellen. So ist auch Elze, und das ist das erschreckend Banale dieser Figur, ein Mitläufer, dessen Leben erst durch seine Position im System und die daraus resultierende Macht über andere Menschen mit Sinn erfüllt wird.

Durch eben diese ihm von Staat gegebene Macht gelingt es Elze sukzessive den Platz Mohrs als Vater und Ehemann einzunehmen und sowohl Katharina, die sich eigentlich nie vom System distanziert hat, als auch die Kinder Achim und Konstanze, die während ihres erzwungenen Heimaufenthaltes mit der Parole „Im Sozialismus ist kein Platz für Individualismus“ erfolgreich – im Sinne der DDR – indoktriniert wurden, von Mohr zu distanzieren. Eine für diesen stets offene Wunde, die ihn nicht zuletzt zu seinem Rachefeldzug gegen Elze motiviert.

Woran viele andere zerbrechen würden, deren Leben durch die Willkür des DDR-Regimes zerstört wurde, die Begegnung mit dem ehemaligen Peiniger, ist für Mohr der Auslöser seine Vergangenheit endlich verarbeiten zu können. Doch der Mann, dem er begegnet hat einen anderen Namen und bestreitet vehement die Vorwürfe. Genügend Motivation für Bernhard Mohr seine Recherchen zu intensivieren.

„Der Weg nach Repente“ ist ein beklemmender Roman über einen Zeitraum der deutschen Geschichte, der nach offizieller Diktion zwar als aufgearbeitet gilt, für die vielen Opfer des Systems DDR jedoch immer noch ein Trauma bedeutet.




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Veröffentlicht am 12. August 2018