Buchkritik -- Maurice Philip Remy -- Der Fall Gurlitt

Umschlagfoto, Buchkritik, Maurice Philip Remy, Der Fall Gurlitt, InKulturA Wenn es um die juristische Aufarbeitung der Verbrechen, die während des Nationalsozialismus begangen wurden geht, brennen bei der ermittelnden Stellen schon mal die Sicherungen durch. So auch im Jahr 2012, als sich Beamte des Zollamtes Lindau mit dem gesetzwidrigen Aufbrechen der Tür von Cornelius Gurlitt Zutritt zu dessen Münchner Wohnung verschafften. Auslöser dieser Aktion war eine am 23. September im Eurocity von Zürich nach München stattgefundene Kontrolle von Zollfahndern, die dort deutsche Staatsbürger, die diese Zugverbindung gerne nutzen, um Geld von ihren geheimen Konten und Depots bei Schweizer Banken nach Deutschland zu schmuggeln, kontrollieren. Obwohl die Mitführung von bis zu 10.000 Euro gesetzlich erlaubt ist, wurde Cornelius Gurlitt, der 9.000 Euro mit sich führte, allein dieser – legale – Besitz zum Verhängnis und gleichzeitig der Auslöser für einen der größten Justizskandale der Bundesrepublik.

Maurice Philip Remy, Dokumentarfilmer und Sachbuchautor, hat die Vorgeschichte und die Abläufe des Verfahrens gegen Gurlitt in seinem Buch "Der Fall Gurlitt – Die wahre Geschichte über Deutschlands größten Kunstskandal" akribisch nachgezeichnet und attestiert den politisch und juristisch Verantwortlichen ein Handeln weit jenseits dessen, was Rechtsstaatlichkeit genannt werden darf.

Der Autor holt historisch weit aus und beginnt seine Spurensuche Ende des 19. Jahrhunderts, mit dem drei Generationen umspannenden Porträt der Familie Gurlitt, die, wie andere Familien mit vergleichbarem bürgerlichen Stand, in die Wirren des Nationalsozialismus geraten ist und aus diesem Grund sowohl Licht- als auch Schattenseiten aufweist.

Hildebrand Gurlitt, dessen Nachlass sich im Besitz seines Sohnes Cornelius befand, war, so das Ergebnis der Recherchen des Autors zwar ein leidenschaftlicher Kunsthändler und -sammler, jedoch weder eine Person, die sich rechtswidrig in den Besitz jüdischen Mitbürger gebracht hat, geschweige denn ein Nazi.

Auf über 650 Seiten, inklusive eines umfangreichen Anhangs, rekonstruiert Remy einen Justizskandal, der, ausgehend von einer in den verhängnisvollen Jahren zwischen 1933 und 1945 beginnenden Entwicklung, einen von den Medien als "Schwabinger Kunstfund" euphemisierten modernen Kunstraub mit Beteiligung von Justiz und Politik darstellt. Von den insgesamt über 1500 Kunstwerken der Sammlung Gurlitt bestätigte sich in nur fünf Fällen der Verdacht auf Raubkunst. Da es bis heute ungeklärt ist, ob Hildebrand Gurlitt, einer der vier Kunsthändler, die während des Nationalsozialismus mit der Verwertung beschlagnahmter Kunstwerke beauftragt waren, oder sein Sohn Cornelius sich dessen überhaupt bewusst waren, ist auch hier von der Unschuldsvermutung auszugehen.

Der politisch und medial aufgebauschte Fall Gurlitt ist, so Maurice Philip Remy, in Wahrheit ein Justizskandal, denn "Cornelius Gurlitt hatte sich nichts zuschulden kommen lassen. […] Altes Unrecht lässt sich nicht durch neues heilen."




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Veröffentlicht am 29. Dezember 2017