Philosophie Magazin -- 02/2014

Umschlagfoto, Philosophie Magazin, InKulturA Werden wir zum Opfer der Informationsgesellschaft, die an jeden von uns Anforderungen stellt, von denen noch unsere Großeltern keine Vorstellungen besaßen? Im Minutentakt prasseln Informationen auf uns nieder, die danach dürsten, wollen wir denn „mitreden“, in den richtigen Kontext gestellt zu werden.

Der Preis, den wir dafür zu zahlen haben, ist mitunter hoch. Kapitulierend vor der Flut an – geschätzt – 99 Prozent Belanglosigkeiten, greift unser Gehirn zur Selbstrettung und schaltet den Wahrnehmungsapparat einfach ab. Dann stehen wir verwirrt da und stellen uns die Frage „Was wollte ich doch gleich machen?“

Es ist dieser Moment des Abschweifens, die Flucht aus der faktengesättigten Welt, der kurze Augenblick der Verweigerung angesichts des medialen und gesellschaftlichen Trommelfeuers, das ununterbrochen mit Codeschnipseln, zusammengesetzt aus Informationsbröckchen, auf uns niedergeht.

„Das zerstreute Ich“ ist dann auch das Thema der aktuellen Ausgabe des Philosophie Magazin. Das Bild des zerstreuten Professors ist ein beliebtes Sujet in Film und Literatur, in der Realität hat ein zerstreutes Individuum jedoch keinen besonderes guten Ruf, verstößt es doch gegen jede kapitalistische Erwerbsmoral, die, in Anlehnung an den protestantischen Geist der Arbeit, den Müßiggang als menschliches Laster und damit als Sünde definiert.

Entfernt man einmal die negative Konnotation, so wird deutlich, dass die Evolution des Menschen anders verlaufen wäre, hätte er, wie Philipp Hübl es ausdrückt, nur ein Sinnesorgan. Da jedoch bereits unsere Urahnen gezwungen waren, auf die Umweltreize korrekt, d. h. überlebensrichtig zu reagieren, war es notwendig, ein gewisses „neben dem Strom“ Verhalten herauszubilden, dass in der Lage war, Bedrohungen rechtzeitig zu erkennen.

Aktuell ist jedoch auch zu beobachten, dass das digitale Zeitalter in Bezug auf die Konzentrationsfähigkeit des Menschen bereits große Lücken geschlagen hat. Schon bei Schulkindern kann man leider, Christoph Türcke weist darauf hin, einen fortschreiten Mangel an Konzentrationsfähigkeit feststellen, der von einem 45 Minuten getakteten Unterricht noch unterstützt wird.

Endlich, ist man fast versucht befreit auszurufen, macht Türcke Schluß mit der postulierten Fragmentierung des Menschen durch die moderne französische Philosophie. Er ist „… froh, dass dieses ganze postmoderne Differenzgequatsche nachläßt.“ Da kann man ihm nur zustimmen.

Ob der Mensch sich durch die „Cloud“ von seiner digitalen Demenz befreien kann und sich durch sie im Netz zerstreut, um scheinbar ewig zu leben, sich jedoch immer darüber im Klaren sein muss, dass die Auflösung bereits bei einem Stromausfall real wird, ist mehr als fraglich. Ein – hoffentlich – mit ironischer Intention geschriebener Artikel von Gert Scobel.

Über die Frage nach dem Schutz der Privatsphäre in der globalen Vernetzung diskutieren Juli Zeh und Ute Frevert. Wenn letztere an den Widerstand in der damaligen Bevölkerung anlässlich der Volkszählung 1983 erinnert, so macht die Sorglosigkeit, mit der aktuell die Menschen mit ihren persönlichen Daten auf den sog. „sozialen Netzwerken“ umgehen, geradezu sprachlos.

Als besonderen Leckerbissen wartet Philosophie Magazin diesmal mit einem Artikel von Alexandre Lacroix über die Zivilisation der Inka auf. Dessen angewandte philosophische Anthropologie dieser durch spanische Einflüsse untergegangenen Kultur ist allein bereits den Kauf der aktuellen Ausgabe wert.