Buchkritik -- Andreas Schindl -- Paurs Traum

Umschlagfoto, Buchkritik, Andreas Schindl, Paurs Traum, InKulturA Es sind turbulente Zeiten, in denen Leopold Paur geboren wird. Der Sohn eines dem Alkohol zusprechenden Landwirts und Dorfrichters in der niederösterreichischen Provinz muss frühzeitig den Tod seiner Mutter erleben, über dessen Grund die Einwohner nur hinter vorgehaltener Hand spekulieren. Als sich das Verhältnis zum Vater rapide verschlechtert, lässt Leopold sich sein Erbe auszahlen, begibt sich nach Wien um dort, durch Fürsprache des Abts in Melk, seines Onkels, das Studium zur Jurisprudenz zu beginnen.

Es gärt allerorten und ehemals unverrückbar scheinende Zustände beginnen sich zu verändern. Der Geist der Freiheit und der gesellschaftlichen Wandlung weht auch durch Wien und Leopold, dessen Traum eine Stadt ist, in der sich Wissenschaftler, Handwerker und Künstler aus aller Herren Länder gleichberechtigt daran machen, die Welt zu verbessern, erhält durch einen Klienten Zutritt zu einer Freimaurerloge und wähnt sich durch den Kontakt zu Gleichgesinnten der Erfüllung seines utopischen Vorhabens um einiges näher.

Doch auch in Zeiten gesellschaftlich-politischer Umbrüche wachsen die Bäume für einen Hofadvokaten bürgerlicher Herkunft nicht in den Himmel. Das muss auch Leopold erkennen, der zäh um das Auskommen seiner bald wachsenden Familie ringt. Trotz seiner guten Reputation, die ihm zahlungskräftige Klienten beschert, gelingt es ihm nicht, seiner Frau ein standesgemäßes Leben zu bieten. Motiviert durch die Logenbrüder beginnt Paur seine Vorstellung der perfekten Stadt zu realisieren, scheitert schlussendlich an diesem Projekt und stirbt einsam und in Armut.

Der Roman von Andreas Schindl beruht auf historischen Tatsachen und erzählt atmosphärisch dicht die Lebensgeschichte eines Mannes, der zwischen den Zeiten lebt. Das Alte ist noch wirkmächtig und das Neue vorerst ein Sammelsurium freien Denkens, das, wie es das Freimaurerpatent vom 11. Dezember 1785 zeigt, stets Gefahr läuft, eine von der Obrigkeit verordnete rote Linie nicht überschreiten zu dürfen.

Paur steht in einer Linie mit den Sozialutopisten Thomas Morus und Francis Bacon, die mit ihren Werken Utopia und Nova Atlantis sowohl Kritik an den gesellschaftlich-politischen Zuständen übten als auch Gegenentwürfe für eine europäische Zivilisation entwickelten. Das in der Theorie weit fortgeschrittene Projekt des Hofadvokaten scheiterte allerdings an seinen fehlenden finanziellen Voraussetzungen. Sein Plan, die Mittel für den Bau der Stadt aus der Subskription und dem Verkauf eines Heilmittel gegen Syphilis, extrahiert aus südamerikanischen Pflanzen, zu erzielen, schlägt mangels seiner kaufmännischen Fähigkeiten fehl.

Leopold war, das beschreibt Schindl eindringlich, der Zeit sowohl weit voraus als in ihr aber auch zutiefst verhaftet und Letzteres wirft damit die Frage nach dem Verhältnis zwischen Utopie und Gegenwart auf. Während sich Morus, Bacon und andere darauf beschränkten, ihre Vorstellungen ausschließlich literarisch zu fixieren, wollte Paur, seine Möglichkeiten überschätzend, das Projekt realisieren. Was bei ähnlichen Vorhaben wie Karlsruhe und Palmanova gelang, musste bei Paur mangels öffentlicher Unterstützung scheitern.

„Paurs Traum“ ist die literarische Aufarbeitung der Lebensgeschichte eines Mannes, dessen Visionen zu einer persönlichen Tragödie wurden.




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Veröffentlicht am 16. September 2018