Buchkritik -- Geoff Nicholson -- Alles und noch mehr

Umschlagfoto  --  Geoff Nicholson  --  Alles und noch mehr Das Leben, ein großes Kaufhaus. So erscheint es jedenfalls im Roman "Alles und noch mehr" von Geoff Nicholson. Ein (nach Selbsteinschätzung) angehender Künstler nimmt aus Geld- und Wohnungsnot eine Stellung in einem Kaufhaus an. Nicht in irgendeinem Kaufhaus, nein, sondern im führenden Kaufhaus Londons, im "Haden Brothers".

In diesem Konsumtempel gibt es nichts, was es nicht gibt. Das allerfeinste Material, die teuersten Möbel und die exklusivste Kundschaft. So jedenfalls stellt sich "Haden Brothers" selbst dar. Doch der Leser merkt schnell, das es mit dieser Beschreibung nicht so ganz seine Richtigkeit hat. Die Verkäufer sind niemals über Gebühr beansprucht und auch das übrige Personal kann sich des öfteren geruhsame (Arbeits)Stunden leisten.

Zu diesem Arbeitgeber verschlägt es also den jungen, noch themenlosen Künstler. Was als Übergangsjob geplant war, erweist sich für ihn rasch als ein wahres zuhause, den er schlägt bald seine Zelte komplett in diesem Kaufhaus auf. Auf seinen nächtlichen Streifzügen durch "Haden Brothers" begegnet er dem Besitzer, der sich nach Verkaufsschluss des öfteren mit neu eingestellten Verkäuferinnen in seinem Haus vergnügt.

Auf seiner Flucht vor dem Wachpersonal entdeckt er, das es innerhalb dieses Kaufhauses versteckte Gänge und Zimmer gibt, in denen sich der Architekt dieses "Babylonischen Tempels" eingerichtet hatte. Von niemanden bemerkt, zog er sich 1933 von der Welt zurück und fristete fortan in diesen Kemenaten sein Dasein.

Nicholson ist ein fulminantes und absurdes Buch gelungen, wie es wohl nur in Großbritannien geschrieben werden kann. Neben Seitenhieben auf eine Kaufkultur, die dem Kaufambiente mehr Respekt zollt, als den eigentlichen Dingen, schildert er die Verirrungen, zu denen die menschliche Seele fähig ist. Einzigartig ist seine Darstellung der verschiedenen Charaktere.

Der Fahrstuhlführer ist blind und erkennt die Stockwerke und die Menschen einzig an ihren verschiedenen Gerüchen. Der Sicherheitschef ist ein Veteran aus den Zeiten des amerikanischen Vietnam-Kriegs, dementsprechend betrachtet er seinen Job als einen immerwährenden Untergrundkrieg. Geradezu grotesk sind die Möbelträger, zu denen auch der themenlose Künstler gehört. Bis dahin als proletenhafte, faule Subjekte geschildert, wachsen sie bei einer Signierstunde eines bekannter Schriftstellers über sich hinaus und stellen dem Autor Fragen, mit denen er bald intellektuell überfordert ist.

Wer skurilen Humor und bittere, hintergründige Komik zu schätzen weiß, der wird sich mit dieser Lektüre bestens amüsieren.




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