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Rainer Mausfeld, der unermüdliche Diagnostiker der Macht, legt mit „Hegemonie oder Untergang“ eine weitere, düstere Analyse unserer Gegenwart vor. Der emeritierte Kognitionsforscher, der mit seinen Schriften wie „Warum schweigen die Lämmer?“ und „Angst und Macht“ zu einer wichtigen Stimme der deutschen Intellektuellenlandschaft geworden ist, erweitert in seinem neuen Werk den Fokus von der nationalen auf die globale Ebene. Standen bisher die Mechanismen der Elitendemokratie und die subtilen Techniken der Meinungsmanipulation im Zentrum seiner Kritik, so widmet er sich nun der „letzten Krise des Westens“.
Für Mausfeld ist die westliche Hegemonie kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis einer 500-jährigen Geschichte von militärischer und ökonomischer Gewalt. Die privilegierte Lebensform des Westens, so seine These, beruht auf der systematischen Ausbeutung schwächerer Länder. Dieses „Master-Narrativ“ des Westens, das sich als eine zivilisatorische Mission tarnt, sei nichts anderes als ein „moralistischer Mantel“, der die brutale Realität von Kolonialisierung, Sklavenhandel und imperialen Kriegen verschleiern soll.
Doch diese Hegemonie bröckelt. Mit dem Aufstieg einer multipolaren Weltordnung, angeführt von den BRICS-Staaten, gerät das westliche Dominanzstreben in eine tiefe Krise. Die vom Westen geschaffenen „ideologischen Scheinwelten“, so Mausfeld, sind mit den neuen geopolitischen Realitäten nicht mehr in Einklang zu bringen. Die Reaktion des Westens auf diesen Machtverlust sei jedoch nicht von Einsicht und Diplomatie geprägt, sondern von einer „Steigerung seiner Bereitschaft zu organisierter Gewalt“.
Mausfeld spricht von einem „Endspielmodus blinder Zerstörungsbereitschaft“, in dem die politischen Eliten des Westens lieber eine nukleare Katastrophe riskieren, als eine Begrenzung ihres hegemonialen Anspruchs hinzunehmen. Diese Analyse knüpft nahtlos an seine früheren Arbeiten an. Schon in „Warum schweigen die Lämmer?“ beschrieb er, wie die Begriffe „Demokratie“ und „Freiheit“ in einer an George Orwell erinnernden Weise verfälscht wurden. Die repräsentative Demokratie sei zu einer „Wahloligarchie“ verkommen, in der die Freiheit nur noch die Handlungsmöglichkeit der ökonomisch Mächtigen sei.
In „Angst und Macht“ analysierte er die Angsterzeugung als zentrale Herrschaftstechnik in kapitalistischen Demokratien. Die „Illusion von Demokratie“ werde durch ein ausgeklügeltes „Demokratiemanagement“ aufrechterhalten, das die Bevölkerung durch „Soft Power-Techniken“ und „Empörungsmanagement“ in die gewünschte Richtung lenkt. Dabei bedient er sich des Konzepts des „umgekehrten Totalitarismus“ von Sheldon Wolin, um die subtile, aber nicht minder totale Form der Herrschaft in den westlichen Gesellschaften zu beschreiben.
Mit „Hegemonie oder Untergang“ eskaliert Mausfeld seine Analyse konsequent auf die globale Ebene. Die „ideologischen Gebäude“, die er in seinen früheren Werken als nationale Phänomene der Meinungssteuerung beschrieb, entlarvt er nun als globales Gefängnis des Geistes. In diesen „Scheinwelten“ wird die westliche Bevölkerung nicht nur gefangen gehalten; ihr gesamter Fühl- und Denkraum wird derart verzerrt, dass die Realität der globalen Machtverhältnisse und die eigene Verstrickung darin unsichtbar werden. Seine Diagnose einer „radikalen Gegenaufklärung“ ist daher mehr als eine bloße Zeitkritik: Es ist der Befund eines epochalen Verrats an den eigenen proklamierten Werten, manifestiert im ohrenbetäubenden Schweigen der öffentlichen Intellektuellen angesichts der Verbrechen, die im Namen dieser Werte begangen werden.
Wer bei Mausfeld nach politischen Handlungsanweisungen oder gar einem Parteiprogramm sucht, missversteht die Natur seines Projekts. Er ist kein Aktivist, der zum Marsch auf die Straße ruft, sondern ein Kognitionsforscher, der das scharfe Skalpell der Aufklärung ansetzt, um die pathologischen Strukturen der Macht zu sezieren. Sein Werk ist kein Rezeptbuch für die Revolution, sondern ein intellektueller Werkzeugkasten zur Dekonstruktion der herrschenden Narrative. Es ist die notwendige, schmerzhafte Vorarbeit zur Mündigkeit, eine Aufforderung, die „Clownswelt“ der offiziellen Verlautbarungen zu zerschlagen, um überhaupt erst die Bedingungen für eine echte, gemeinwohlorientierte Politik zu schaffen. Angesichts der im Titel beschworenen Alternative, Hegemonie oder Untergang, erscheint diese intellektuelle Selbstverteidigung nicht als Option, sondern als Akt der Notwehr.
Meine Bewertung:
Veröffentlicht am 17. November 2025