Buchkritik -- Marta Marková -- Familienalbum

Umschlagfoto  -- Marta Marková Heimat ist ein Begriff, der im Vokabular einer globalisierten Welt scheinbar keinen Platz mehr beanspruchen darf. Nicht selten konnotativ mit Rückständigkeit oder gar Nationalismus verbunden, erweist das Sprechen, bzw. bereits die Reflektion über Heimat sich als ein Versuch, das Individuelle, das Sogewordensein einer Person konkret zu verorten, d. h. mit einem geographisch konkreten und genau beschreibbarem Raum zu identifizieren. Das Wort Heimat erhält seine Evidenz dann auch erst in dem Augenblick, wenn das Individuum dieses Raums verlustig gegangen ist. Das Reflektieren über oder das Erinnern an die Heimat ist somit immer ein Ausdruck eines mehr oder weniger schmerzhaft empfundenen Verlustes. Der Verdacht liegt nahe, dass das Bild von der Heimat immer dann vor dem Auge auftaucht, wenn sich eine persönliche Krise abzeichnet oder sogar bereits existiert.

Kein anderer Terminus beschreibt - entgegen jeder politisch angemaßten Deutungshoheit - so sehr die Sehnsucht nach dem vermeintlich Verlorenen. Heimatlosigkeit ist nicht umsonst die bestimmende Konstante einer Zeit, die sich vergeblich darum bemüht, eine reale Verortung des Individuums in die digitale Vernetzung zu transformieren. Dass diese Versuche zum Scheitern verurteilt sind, ist evident.

Marta Marková erinnert sich in ihrem Buch Familienalbum an Schicksale und individuelle Geschichten aus Mähren und Böhmen. Niemals direkt im Fokus allgemeiner Aufmerksamkeit stehend und trotzdem immer beeinflusst durch die dramatischen Wechselfälle der Politik des 20. Jahrhunderts, beschreibt die Autorin ohne falsche und unangebrachte Sentimentalität eine Epoche, die ebenso durch die Willkür politischer Systeme, als auch durch die daraus resultierenden Verwicklungen und Verirrungen der Individuen geprägt war.

Starke Frauen und kauzige Männer. Glückliche Kindertage und ein Erwachsenwerden in Zeiten der sozialistischen Kollektivierung. Verzweiflung über staatliche und politische Willkür. Suchen nach möglichen Nischen, die das Überleben ohne Verlust der Selbstachtung ermöglichten. Flüchtlingsschicksale nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und die Hoffnungen des Prager Frühlings. All das prägt die Erinnerungen von Marta Marková und nimmt den Leser mit auf eine historische Reise, die, obwohl sehr persönlich geprägt, doch auch eine Beschreibung der großen Umbrüche des letzten Jahrhunderts ist.

Persönliches Schicksal ist immer auch die Antwort auf externe Umstände, auf Herausforderungen, die dem Individuum vom Staat, von der Politik, von einer Partei, aber auch von seinem persönlichen Umfeld gestellt werden. Die Autorin erzählt von der Tragik individuellen Scheiterns durch Anpassung und vorauseilendem Gehorsam gegenüber eines totalitären Regimes, aber auch von persönlichem Widerstand und der Reaktion des Systems.

Marta Marková, eine tschechische Autorin, die ihre Erinnerungen Familienalbum in deutscher Sprache veröffentlicht hat, zeigt deutlich, dass der Begriff Heimat, egal in welche Sprache übersetzt, immer eine zentrale Stellung im Leben eines Menschen haben wird. Aus diesem Grund sind diese Erzählungen aus Mähren und Böhmen auch mehr als ein Zeitzeugnis. Sie berichten viel mehr von dem Urbedürfnis des Menschen nach existentieller Geborgenheit, das auch durch eine globalisierte und vernetzte Welt nicht ersetzt werden kann.




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