Buchkritik -- Michael Lederer -- Cadaqués

Umschlagfoto, Michael Lederer, Cadaqués, InKulturA Es könnte so schön sein im idyllischen Fischerdorf Cadaqués. Die Pauschaltouristen halten sich in den für sie vorgesehenen Gebieten auf und verirren sich zum Glück nur selten in die von den ortsansässigen Künstlern aufgesuchten Lokalitäten. Noch immer vom Ruhm vergangener Tage zehrend, verbringen die Epigonen von Salvador Dali, Picasso, Man Ray, Marcel Duchamp, Luis Buñuel, Federico Garcia Lorca, Andre Breton, John Cage und anderen ehemals in Cadaqués lebenden Künstlern ihre Zeit mit alkoholgeschwängerten Reminiszenzen an eine mögliche Zukunft.

Cal ist einer von ihnen. Materiell vordergründig abgesichert durch eine Erbschaft, ist er in der überaus komfortablen Lage, sein Leben der Literatur und dem Schreiben widmen zu können. Er findet, wohl auch zu seiner eigenen Überraschung, einen Verleger, der das Wagnis unternimmt, sein neues Buch zu veröffentlichen. Als es ihm auch noch gelingt, die junge und schöne Layla zu erobern, glaubt Cal, endlich am Ziel seiner Sehnsucht zu sein.

Beides, der greifbar nahe Ruhm als erfolgreicher Schriftsteller und die Tatsache, dass es ihm gelungen ist, eine sich anfangs spröde gebende Frau zu seiner Geliebten gemacht zu haben, die überdies wegen ihm ihren langjährigen, jedoch weitaus älteren Freund verlassen hat, verleitet Cal dazu, sich als endlich angekommen im Leben zu betrachten. Während seine Glücksgefühle eher den Charakter eines schweren Realitätsverlusts aufweisen, sitzt tief in seinem Inneren bereits ein Dämon, der nur darauf wartet, dass Cal ihn nicht mehr unter Kontrolle hat.

Michael Lederer erzählt mit literarischer Wucht die Geschichte eines Sommers, die, obwohl himmelhoch jauchzend begonnen, doch mit einem tiefen, sehr tiefen Absturz endet. "Cadaqués" ist ein Roman über eine Generation von selbst ernannten und mäßig bis kaum erfolgreichen Künstlern, die sich zwar im Mythos Cadaqués kommod eingerichtet haben und sich als legitime Nachfolger der ehemaligen in diesem Ort lebenden Kunstgrößen verstehen, ihre Zeit jedoch damit verbringen, mögliches Potential und künstlerische Kreativität zu verschwenden und anstelle dessen weitestgehend in einer Sphäre des Konjunktiv leben.

Auch Cal, die zentrale Figur des Romans, ist Opfer dieser, man kann es ohne Zweifel so bezeichnen, Lebenslüge. Es ist das von Lederer mit sprachlicher Prägnanz und viel Gespür für die innere Leere dieser kleinen Gemeinschaft sezierte Wissen um das eigene Scheitern, das, im Gegensatz zur Bemerkung Roberts, eines überaus sympathischen Briten, eben doch aus ihnen eine Lost Generation, eine sich verloren habende Generation macht.

Ohne Frage, die Clique ist gebildet, eloquent und überaus sympathisch und der Autor versteht es geschickt, die fragilen Mechanismen dieser verschworenen Gemeinschaft herauszuarbeiten. Doch gerade durch sein großes Einfühlungsvermögen in die Psyche seiner Protagonisten zerlegt, ja demontiert Lederer geradezu deren perpetuelle Flucht vor der Realität.

Eben diese gnadenlose Wirklichkeit muss Cal akzeptieren, als er die Familie von Cassandra kennenlernt, die, ganz im Sinn der neuen finanziellen Weltordnung, nur noch in monetären Kategorien denken kann und wenig bis gar kein Verständnis für andere Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hat. Kunst repräsentiert für sie einzig das dafür ausgegebene Geld und wird daher als Spekulationsobjekt betrachtet. Michael Lederer zeichnet diese Figuren mit den ihnen zustehenden Widerlichkeit und doch lässt er seine Hauptfigur Cal tief im Innersten fühlen, dass Typen wie diese die Welt beherrschen.

Cal, der zu Beginn der Beziehung zu Layla noch daran glaubt, durch sie vor dieser Welt geschützt zu sein, muss schmerzhaft erfahren, dass diese Liebe in Wahrheit die Initialzündung zur Lösung seines Alkoholproblems sein wird. Wie fast alle seine Freunde in Cadaqués, versucht er durch massives Trinken das unbewußte Wissen um das künstlerische Scheitern zu verdrängen. Michael Lederer zeichnet diese Figuren mit viel Sympathie, doch er beschreibt sie als das was sie sind: alkoholabhängig. Cal wird es gelingen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Der Preis, den er jedoch dafür zahlen muss, ist hoch.

"Cadaqués" ist ein wunderbarer Roman, der gekonnt die Balance zwischen Melancholie und Lebensfreude hält und der mit großer Empathie für die künstlerischen Bemühungen seiner Figuren, die eben auch individuelles Scheitern bedeuten können, einen Sommer in Cadaqués beschreibt, der, alle Beteiligten wissen es wohl, der letzte seiner Art gewesen ist.




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Veröffentlicht am 1. März 2014