Buchkritik -- Rolf Stolz -- Der Gast des Gouverneurs in der Wand des Kraters

Umschlagfoto  -- Rolf Stolz  --  Der Gast des Gouverneurs in der Wand des Kraters Sich verlieren, sich suchen, erinnern, verdrängen - Flucht. All das beschreibt Rolf Stolz in seinem neuen Roman Der Gast des Gouverneurs in der Wand des Kraters . Jean-Pierre Mihiel, ein Intellektueller, Doktor der Rechte, Professor an der Sorbonne, flieht vor seinem bisherigen Leben. Er läßt eine Frau und drei Kinder in Frankreich zurück. Sein Weg führt ihn durch Mittelamerika und durch sein bisheriges Leben. Unterwegs lernt er die Belgierin Katrin kennen und sie beschließen die Reise gemeinsam fortzusetzen.

Beide sind auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit, vor ihrem bisherigen Leben. Sie suchen das Neue, das Unbekannte, welches ihnen helfen soll verdrängtes weiter zu verdrängen. Gefangen in den Netzen des vergessenwollens, aber nicht vergessenkönnens, reisen sie planlos durch die Lande. Die Angst vor Einsamkeit schweißt die beiden doch so ungleichen Partner zusammen.

Immer wieder tauchen in der Erinnerung von Jean-Pierre längst vergangene, verdrängt geglaubte Fetzen seines Lebens auf. Er, der nach aussen die Maske eines Mannes aufrechterhalten will, der jeder Situation gewachsen ist, stellt doch nur eine tragische, weil immer wieder scheiternde Figur dar. Seine Erinnerungsfetzen zeigen ein Kind und einen Mann, der es immer versäumt hat zu agieren, immer war seine bisherige Existenz ausschließlich von Reaktion bestimmt. Umsomehr versucht er auf seiner Reise-Flucht durch Mittelamerika den Anschein des Handelnden zu erwecken. Doch auch hier wird er seinem eigenen Anspruch nicht gerecht.

Jean-Pierre so wie auch seine Begleitung Katrin sind emotionale Autisten. Ihnen ist dieser Zustand bewußt und sie leiden darunter. Trotzdem sind sie unfähig zur gemeinsamen Kommunikation. Spontanität wird schnell zur Ziellosigkeit und das Bedürfnis nach Zärtlichkeit verwandelt sich in reine Triebbefriedigung. Katrin leidet mehr darunter als Jean-Pierre, denn sie macht noch den Versuch aus diesem Käfig auszubrechen. Er aber ist in seinem eigenen Teufelskreis aus Selbstbetrug und Wehleidigkeit gefangen.

Rolf Stolz hat einen Roman über das Problem des modernen Menschen geschrieben. Umfähig zu Bindungen muß er doch erleben, daß singuläres Dasein keine Freiheit bedeutet, sondern nur Ausdruck des Unbehausten, des Wurzellosen ist. Nirgendwo ist ein ruhender Pol in Sicht. Nach aussen und für andere sichtbar, verläuft das Leben in geordneten bürgerlichen Bahnen. Doch hinter dieser Fassade regiert der Horror der Einsamkeit. Da sich das Individuum selber fremd geworden ist, muß ihm auch sein Gegenüber fremd bleiben. Kommunikation und gegenseitiger Austausch finden auf diese Weise nicht statt.

So gibt es auch in diesem Roman folgerichtig überwiegend innere Monologe und nur wenige Unterhaltungen miteinander. Die zufällig getroffenen Reisebekanntschaften mutieren zu hilflos treibenden Inseln im Meer der Einsamkeit. Zu sehr mit sich selber beschäftigt, gelingt es Jean-Pierre nicht, sich zu entscheiden - gegen oder für seine Familie, gegen oder für Katrin, gegen oder für eine Änderung seines Lebens. Er hat alles in der Hand, doch er vergibt seine Chancen, sogar seine letzte, ungenutzt. Er ist ein Mann ohne Eigenschaften

Ein beeindruckendes und atmosphärisch dichtes Buch.




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