Buchkritik -- Ian Kershaw -- Hitler 1889-1936

Umschlagfoto  -- Ian Kershaw  --  Hitler 1889-1936 Der erste einer auf zwei Bände angelegten Biographie über Hitler schildert die Jahre von 1889 bis 1936. Obwohl die Literatur zu diesem Thema bereits eine nahezu unübersichtliche Dimension angenommen hat, wagt es Ian Kershaw trotzdem ein umfassendes Werk vorzulegen.

Um es gleich vorweg zu sagen, es hat sich gelohnt. Mit einer typisch angelsächsischen Brillanz geht der Autor das Thema an. Auf jeder Seite faktensicher und trotzdem extrem lesbar, gerade für den interessierten, aber nicht fachgebildeten Laien.

Kershaw geht in diesem Band nicht ausschließlich der Person Hitlers nach, sondern er will der Frage auf den Grund gehen, warum es möglich war, das ein, so Kershaw, fauler, schmarotzender und arbeitsscheuer Mensch an die politische Spitze eines kultivierten und technisch fortschrittlichen Landes wie Deutschland gelangen konnte.

Diesen Bogen gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse, die Wechselwirkung zwischen beiden, zeichnet der Autor nach. In den Wirren der niemals vom Volk und einflußreichen Kreisen richtig akzeptierten Weimarer Demokratie, in der Spannung zwischen politischen Flügelkämpfen zwischen Rechts und Links, bestach Hitler durch sein einziges Talent- seine demagogischen Fähigkeiten.

Zwei verhängnisvolle Zeitströmungen führten zum Aufstieg Hitlers. Zum einen war es der Wunsch der überwiegenden Mehrzahl der Deutschen, daß die Demokratie von einer wie auch immer gearteten Regierung abgeschafft werden sollte, zum anderen war es der verlorene 1. Weltkrieg und die zu leistenden Reparationszahlungen, die auf lange Zeit eine eigenständige wirtschaftliche Entwickling Deutschlands verhinderten.

Die Schrecken welche die Menschen angesichts der Münchener Räterepublik erfassten, ebneten den Weg für einen Demagogen wie Hitler, der von sich behauptete, die richtigen Wege aus der Krise gefunden zu haben. Die Sehnsucht eines Volkes nach einem ruhigen, in festen Grenzen ablaufendem Leben lief konform mit den Bestrebungen von Kapital und national-konservativen Kreisen, die Weimarer Republik abzuschaffen.

Eindrucksvoll spürt Kershaw dem damaligen Zeitgeist nach und versteht es dem Leser klar zu machen, wie es gelingen konnte, daß Deutschlands Weg in einen Abgrund aus Gewalt und Terror führte. Kurioserweise und darauf weist der Autor immer wieder hin, kam Hitler und die NSDAP auf legale Weise an die Macht. Durch die Selbstauflösung des Reichstags, anschließende Neuwahlen und das vom Reichstag beschlossene Ermächtigungsgesetz war der Weg frei für die Partei Hitlers.

Alle weiteren politischen Erfolge, National und International, umgaben ihn mit einer Aura des unbezwingbaren Staatslenkers und erhöhten automatisch sein Ansehen bei der Deutschen Bevölkerung. In den Jahren bis 1936 war deshalb nicht die geringste Spur von Wiederstand zu finden. Säuberungsaktionen fanden schnell und brutal statt, bevor eine reale Gefahr für das System entstand. Hitlers politischer Überlebensinstinkt funktionierte tadellos.

Der Ablauf von Geschichte wird nicht ausschließlich von einzelnen bestimmt, sondern es sind immer viele Komponenten, die dazu beitragen, daß sich eine wie auch immer geartete Entwicklung manifestiert. Dies ist die große Leistung von Kershaw. Es gelingt ihm, diese ineinander verwobenen historischen Fäden, bestehend aus politischen Strömungen, verschiedenen Interessenlagen und dem spürbaren Unbehagen an der jungen Weimarer Republik zum Ausdruck zu bringen.

Über Hitler selber erscheint nichts wesentliches neues in diesem Buch. Das war auch nicht die Intention des Autors. Vielmehr ging es Kershaw um die Darstellung emotionaler Zustände der Deutschen und ihre Auswirkungen auf den Fortgang der Geschichte. Er liefert eine plausible Erklärung dafür, warum Deutschland gerade den und keine anderen Weg eingeschlagen hat.

Das Buch von Ian Kershaw ist ein mustergültiges Beispiel dafür, wie historische Forschung auszusehen hat. Faktensicher, neutral in seiner Wertung und auf eine schon fast literarisch zu nennende Art geschrieben, die dafür sorgt, daß Geschichte vor den Augen des Lesers auf eine plastische Art wiederaufersteht.

Das Buch macht Lust auf den zweiten Band!




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