Buchkritik -- Rainer F. Schmidt -- Kaiserdämmerung

Umschlagfoto, Buchkritik, Rainer F. Schmidt, Kaiserdämmerung, InKulturA Vom Kaiserreich über das Dritte Reich und die angebliche Kriegslüsternheit der Deutschen im 20. Jahrhundert führt, so die gängige Meinung eines großen Teils der Historiker, eine stringente Linie, die, so haben es die Deutschen inzwischen verinnerlicht, zu einem Schuldkomplex verpflichtet, der die Sünden der Vergangenheit nur durch perpetuierte Übernahme globaler Verantwortung verewigt.

Doch ist diese monokausale Betrachtung korrekt und entspricht sie den historischen Fakten? War ausschließlich das Kaiserreich Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs oder hatten auch andere Akteure, wie z. B. England, Frankreich und Russland ihren Part in diesem verheerenden Drama?

Der Historiker Rainer F. Schmidt kommt in seinem Buch zu einem vollkommen anderen Ergebnis, als es die Geschichtsbücher erzählen. Das Kaiserreich war gemessen an der „Leistungsfähigkeit eines Gemeinwesens“ und der „Aufgabe eines Staates, seinen Bürgern Sicherheit und Ordnung zu geben, Wohlstand und Freizügigkeit“ zu verschaffen, alles andere als der rückständige und obrigkeitshörige Staat der verallgemeinerten historischen Betrachtungsweise.

Auch den Thesen vom planvoll herbeigeführten Kriegsausbruch aufgrund des angeblichen deutschen Weltmachtstrebens und der Flucht in den Krieg wegen eines Modernisierungsdrucks im Inneren und einem daraus resultierenden Machtverlust der Eliten erteilt der Historiker eine Absage.

Nicht die Frage nach der Schuld Deutschlands am Kriegsausbruch stellt sich, sondern die nach der Verantwortung des Kaiserreichs, dessen unvorteilhaftes Agieren bezüglich der Politik gegenüber England und Russland und dem unverblümten Revanchegedanken Frankreichs dafür sorgte, dass die befürchtete Einkreisung bittere Realität wurde.

Für Schmidt liegt der Kriegsauslöser zwar in Berlin, doch dessen Verursacher war Frankreich, dessen brennender Wunsch nach Rache für 1871 zusammen mit Russlands Anspruch auf die Meerengen und Englands Streben, Deutschland dauerhaft als Konkurrenten zu eliminieren, dazu führte, dass der erste große Weltenbrand entzündet wurde. Einmal ausgelöst, war es das erklärte Kriegsziel der Alliierten, Deutschland politisch und wirtschaftlich auszuschalten.

1914 war das Resultat deutscher Fehleinschätzungen, die zusammen mit der forcierten Einkreisungspolitik durch England, Frankreich und Russland zu der Katastrophe WK I führten. „Kaiserdämmerung“ interpretiert einen Abschnitt der Deutschen Geschichte diametral zur herrschenden Lehre und unterzieht das Handeln der beteiligten Akteure einer kritischen Überprüfung, deren Ergebnis vielleicht eines Tages Erwähnung in den Schulbüchern findet.




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Veröffentlicht am 20. März 2022