Buchkritik -- Peter Neumann -- Jena 1800

Umschlagfoto, Buchkritik, Peter Neumann, Jena 1800, InKulturA Während in Frankreich die Revolution dabei war, ihre Kinder zu fressen, Terror und Guillotine wüteten, der König enthauptet wurde und Napoleons Truppen sich anschickten die revolutionären Gedanken in ganz Europa zu verbreiten, geschah in Deutschland ebenfalls ein Umsturz, der sich weniger auf die Macht von Kanonen und Musketen stütze, sondern auf den menschlichen Intellekt.

Deutschland, das war zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Flickenteppich kleiner und kleinster Territorien, Fürstentümer die unter der Herrschaft von Obrigkeiten standen, die ihre Einwohner zu Gehorsam und Treue verpflichteten. Noch war die Idee der Demokratie, die sich langsam von Westen verbreitete, in diesen Kleinstaaten kein Thema, doch der Geist der Freiheit, einmal aus der Flasche gelassen, war nicht mehr aufzuhalten.

Mitten in der deutschen Provinz, weitab vom urbanen und quirligen Paris, in Weimar und Jena ereignete sich eine ganz andere Revolution als in Frankreich. Goethe und Schiller in Weimar, die Brüder Schlegel, Friedrich mit Dorothea und August Wilhelm mit Caroline in Jena, zu denen sich Clemens Brentano, Novalis, Friedrich Tieck, Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, auch Hegel zieht mitsamt künftigem „Weltgeist“ bald nach Jena, gesellen und die, jeweils auf ihre Weise den revolutionären Umbruch, der auch in Deutschland nicht mehr aufzuhalten war, literarisch und philosophisch reflektierten und damit auch forcierten.

Peter Neumann erzählt in seinem Buch das für damalige Verhältnisse „unerhörte“ Zusammenleben dieser „freien Geister“, das in einer Melange aus Kreativität, Erotik und Krisen bestand. Im kleinen Kosmos der Leutragasse 5, quasi die Lindenstraße des Jahrhundertwechsels, lässt er, nicht unähnlich einer Soap-Opera auf hohem Niveau, seine Leser an einem Gesellschaftsroman teilhaben, der, dargestellt in Alltagsszenen, die Genese der literarischen und philosophischen Werke, aber auch die auftretenden Konkurrenzgedanken und Ressentiments zeigt.

Für ein breites Lesepublikum geschrieben, hält sich Neumann bezüglich literarisch-philosophischer Analysen wohltuend zurück, lässt jedoch trotzdem die wesentlichen Gedanken, heute würden wir vom Zeitgeist sprechen, der Jahre 1789, Schillers Antrittsrede als Geschichtsprofessor an der Universität, bis 1806, die Schlacht von Jena und Auerstädt, die das Ende dieser „Republik der freien Geister“ darstellte, Revue passieren.




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Veröffentlicht am 22. Dezember 2018