Buchkritik -- Joël Dicker -- Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Umschlagfoto, Joël Dicker, Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert, InKulturA Literatur lebt auch von Übertreibungen und ausschweifender Erzählfreude. Beides ist reichlich vorhanden im Roman "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" von Joël Dicker. Die Handlung ist schnell erzählt. 33 Jahre nachdem die 15jährige Nola verschwand, wird ihre Leiche im Garten ihres ehemaligen Geliebten, des berühmten und in seiner Heimatstadt geachteten Schriftstellers Harry Quebert, gefunden. Bei der Leiche findet man auch das Originalmanuskript des Werkes, das für den schriftstellerischen Erfolg Queberts verantwortlich war. Harry wird wegen Mordverdacht verhaftet und nur sein ehemaliger Schüler und langjähriger Freund Marcus Goldman hält weiter zu ihm.

Da passt es gut, dass auch Marcus Schriftsteller ist und bereits einen Erfolgsroman veröffentlicht hat. Nach seinem ersten Buch bekommt Goldmann jedoch eine kreative Krise und er sieht sich außerstande, die vertraglich festgelegten weiteren vier Bücher zu schreiben. Da kommt ihm der Fall Harry Quebert gerade recht und er benutzt seinen Freund, von dessen Unschuld er überzeugt ist, als Inspiration für einen Roman.

Auf über 700 Seiten hat Dicker diesen Plot, der ein Roman über einen Roman in einem Roman darstellt, genussvoll erzählt. Ja er kann schreiben, dieser Autor. Phantasievoll, sarkastisch, spannend und unterhaltsam, all das trifft auf diesen Roman zu. Eine Portion Gesellschaftskritik und Elemente aus dem Genre der Kriminalliteratur kommen ebenso vor wie Liebesschmerz und Sehnsucht.

Joël Dicker hat für jeden Leser etwas auf Lager - und verzettelt sich leider damit. Ist der Roman bis zu Hälfte abwechslungsreich und mit viel Tempo und Witz geschrieben, neigt die zweite Hälfte zu endlos anmutenden Wiederholungen und auch die doch etwas arg trivial geratenen Dialoge zwischen Harry und seiner Geliebten strapazieren den guten Willen des Lesers. "Oh allerliebster Harry, ich bin ja so glücklich". "Sie dürfen nicht sterben. Sie sind ein Engel. Engel sterben nicht". Da kräuseln sich doch spätestens nach der dritten Wiederholung die Nackenhaare. Das würde noch nicht einmal Rosamunde Pilcher in einem ihrer Romane wagen.

Man fragt sich unwillkürlich, ob Dicker seine Leser Augenzwinkernd auf den Arm nehmen will, wenn er immer neue Handlungsstränge einführt, die den Roman, ich muss es leider sagen, künstlich verlängern und dem Leser eine gehörige Portion Geduld abverlangen. So wird der Peiniger von Luther Caleb zu seinem Wohltäter und sorgt dafür, dass der seine künstlerischen Bedürfnisse, in deren Mittelpunkt immer blonde Frauen stehen, befriedigen kann. Ach ja?

Da wird von Dicker, sozusagen als Running Gag, immer wieder die überbesorgte jüdische Mamme karikiert, dass dem Leser angesichts der geschilderten dümmlichen Penetranz dieser Figur die Lust am Weiterlesen genommen wird.

Da lagert der Kriminalpolizist Gahalowood einfach mal kurz das Polizeirevier in eine Hotelsuite aus - mitsamt der kompletten Fallakten - und ermittelt fortan mit der tatkräftigen Unterstützung von Marcus Goldman.

Joël Dicker hat für seinen Roman viele Zutaten verwendet, doch das Ergebnis ist ein Durcheinander von Personen, Handlungen und Rückblenden, dass der Leser froh ist, wenn es ihm gelungen ist, diese 736 Seiten hinter sich zu bringen.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 4. Dezember 2013