Buchkritik -- Alfred Goubran -- Schmerz und Gegenwart

Umschlagfoto, Buchkritik, Alfred Goubran, Schmerz und Gegenwart, InKulturA Der Zeitgeist schlägt mitunter merkwürdige Kapriolen. Auf nichts ist der moderne Mensch, der Mitspieler auf der Bühne alltäglicher Nichtigkeiten, stolzer, als ein, so wie er es begreift, Individuum zu sein. Einzigartig, sich von anderen unterscheidend und abhebend, stets auf der Höhe dessen, was nötig ist, um „dazuzugehören“, um irgendwie „in“ zu sein und aus diesem Grund eine Stimme zu haben, die in der Kakophonie des Beliebigen scheinbar zu vernehmen ist.

In Wirklichkeit befindet er sich jedoch gefangen in einer Gesellschaft, die den Wert ihrer Mitglieder daran misst, wie gut, wie umfänglich es ihnen gelingt, das zu verdrängen, was das Eigentliche ist, das, was unter dem Müll der Hitlisten, des „Angesagten“, des unmittelbar Verwertbaren, gleichwohl Nutzlosen darauf wartet, wertend zur Kenntnis genommen zu werden.

In seinem Essay, eine Mischung aus sprachstilistischem Meisterwerk, philosophischer Analyse und Pessimismus angesichts einer bis zur Nichtigkeit entwurzelten Gegenwartskultur, seziert Alfred Goubran die Mechanismen eines Betriebes, der, angefeuert und am Laufen gehalten durch die Masse der „Unfähigen“ und deren teils unbewusste, hauptsächlich aber bösartig, weil um ihre Mediokrität wissend, gegenüber den „Fähigen“ ausgelebte Unterwerfung unter das Diktat einer Vernutzung, die stets durch neue Moden und Trends, auch und gerade in sozialen und politischen Kategorien, sich der kritischen Verortung entzieht, entziehen muss, weil nur so, wie der Autor sie klassifiziert, die „Verdrängungsgesellschaft“ funktioniert.

Alfred Goubran formuliert das Leiden der „Fähigen“ an einem System, das stets Konformität der Originalität, stets das Gewöhnliche dem produktiv Störenden vorzieht und deshalb bewusst auf diese wirklichen Individualitäten verzichtet, diese sogar als Störfall, als pathologisch bezeichnet und den Schmerz der Wenigen, die sich weigern, dem geforderten „Verdrängungsmechanismus“ durch Selbstzensur zu entsprechen, sich also freiwillig der eigenen Wirklichkeit zu berauben.

Es ist eine ohne Frage mutige, dem Mainstream entgegenstehende Zeitanalyse, die der Autor da vorlegt. Wider den Zeitgeist, wider der (auch vom Bildungssystem) aufoktroyierten Konformität, wider des reinen ökonomischen Funktionierens und wider einer selbstzufriedenen Mittelmäßigkeit, die sich gern den Nimbus des Fortschritts auf die Fahnen heftet.

Eines ist sicher: Der Essay von Alfred Goubran dürfte in gewissen geistigen Milieus für Aufregung sorgen, denn viel zu lange haben wir solch deutliche Worte vermisst.




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Veröffentlicht am 30. September 2019