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Buchkritik -- Kjell Arne Rasmussen -- Gluthirn

Was geschieht, wenn ein Meister seines Fachs obsolet wird? Morten Krogh Larsson, einst ein von Deutschlands besten Einheiten geschulter Zielfahnder, fristet sein Dasein in der Abgeschiedenheit eines norwegischen Fjords. Seit der Staat entschieden hat, auf seine besondere Expertise zu verzichten, ist er ein Mann auf der Suche – nicht nur nach einer neuen Aufgabe, sondern nach einem neuen Sinn in einer Welt, die seine wahre Berufung, die Jagd nach den Schatten, nicht mehr zu schätzen weiß.

Doch die Schatten finden immer einen Weg. Ein Sonderauftrag reißt Larsson aus seiner selbstgewählten Verbannung: Er soll den Fall eines verurteilten Mörders neu aufrollen, eines Psychopathen, dessen Freilassung unmittelbar bevorsteht. An seine Seite wird ihm Dr. Astrid Solberg Gundersen gestellt, eine Polizeipsychologin, die ihre Karriere der Kartierung der dunkelsten Winkel der menschlichen Seele gewidmet hat. Jeder „psychopathisch“ eingestufte Verbrecher Skandinaviens ist durch ihre Hände gegangen, bevor sie sich in die akademische Welt zurückzog.

Was als klare Konstellation beginnt – der Jäger und die Analytikerin – entwickelt sich unter der Feder von Kjell Arne Rasmussen zu einem fesselnden Vexierspiel. Die Ermittlungen führen das ungleiche Duo in ein Labyrinth aus widersprüchlichen Zeugenaussagen, rätselhaften Ereignissen und einem mysteriösen Tagebuch. Die Grenzen zwischen Täter und Opfer, Wahrheit und Wahn verschwimmen zusehends. Ist der Mann, den die Polizei „Gluthirn“ nennt und der seit Jahren im Hochsicherheitstrakt sitzt, wirklich das Monster, für das ihn alle halten? Oder ist er das Opfer einer perfiden Inszenierung? Die Menschen, die ihm begegneten, beschreiben jedes Mal eine vollkommen andere Person, als wäre er ein Phantom, das je nach Betrachter seine Gestalt ändert.

Als wäre diese psychologische Zerreißprobe nicht genug, deuten sich im Hintergrund die Umrisse einer weitaus größeren Verschwörung an. Einflussreiche Kräfte spielen nach ihren eigenen, tödlichen Regeln und erfordern von den Ermittlern ein Höchstmaß an Feingefühl und strategischer Raffinesse.

Der Roman ist weit mehr als ein gewöhnlicher Thriller. Er ist ein fesselndes Kammerspiel der menschlichen Psyche, das die Konventionen des Genres elegant sprengt. Anstatt das klischeehafte Duell zwischen dem harten Bullen und der kühlen Psychologin zu zelebrieren, entwirft Rasmussen das Porträt einer außergewöhnlichen, von gegenseitigem Respekt getragenen Zusammenarbeit. Ein intellektuell anregender, psychologisch dichter Pageturner, der lange nachhallt und ein Psychothriller, der die Grenzen der Wahrheit seziert.