Buchkritik -- G.G. von Bülow -- Aus dem Leben einer Tagediebin

Umschlagfoto  -- G.G. von Bülow  --  Aus dem Leben einer Tagediebin "Für eine intelligente Frau gibt es keine Probleme", diese Aussage der fiktiv-autobiographischen Ich-Erzählerin im Roman Aus dem Leben einer Tagediebin oder Wen der Hafer sticht gibt die Richtung dieses gut gelaunten Prosastücks vor. Eine Frau will dem deutschen Wirtschaftswunder der 60er Jahre entfliehen. Nicht mehr "auf Acht-Zentimeter-Pfennigabsätzen durch die Chefetagen moderner Bürolandschaften stöckeln", sondern die individuellen Fähigkeiten ausschöpfen, die Welt aus anderen Perspektiven kennenlernen, aber auch dazu bereit sein, Scheitern zu ertragen.

Dabei herausgekommen ist ein mit Vergnügen zu lesendes Buch, das ohne die sterile Selbstverliebtheit einschlägiger autobiographischer Ergüsse daher kommt. Mit Witz und einem guten Stück Selbstkritik beschreibt G.G. von Bülow das Leben einer Frau, die weiß, was sie will, bzw. was sie nicht will - bis zu ihrem Rentenalter durch Büros zu wandeln.

Was für andere ewig ein Traum bleibt, wird für die Tagediebin zur gelebten Realität. Ihre Lebensstationen sind dann auch folgerichtig u. a. New York, Paris, Ibiza, Nordafrika und Kopenhagen. Was zuerst wie stetes Unbehaustsein erscheint, erhält bei näherer Betrachtung die Weihe eines bei Menschen sehr seltenen Vermögens, nämlich dem Ruhen in sich selber. Das Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten, aber auch auf eine gehörige Portion Glück.

Bei all dem verliert die Protagonistin niemals ihre Neugier auf das Leben und die von ihm bereit gestellten Überraschungen. Sie nimmt, im wahrsten Sinn des Wortes, ihr Leben in die eigenen Hände und ist damit lange vor dem Auftreten eines weinerlich-aggressiven Feminismus dazu in der Lage, ihr Leben selbstbestimmt zu führen. G.G. von Bülow schreibt es nicht so explizit, doch aus all ihren wunderbar zu lesenden Zeilen strömt die Aussage, dass es nicht primär wichtig ist, was man (oder Frau) ist, sondern dass es darauf ankommt, was man (oder Frau) aus sich macht.

Spontan aber gradlinig. Neuem gegenüber aufgeschlossen, jedoch das Eigene nie aufgebend, ist es typisch für die Tagediebin, sich auch nicht durch die Aussicht auf eine Romanveröffentlichung dazu bereit zu erklären, einem amerikanischen Verleger zu Willen zu sein. Lieber bleibt das Manuskript als permanente Reisebegleitung im Gepäck, als sich selber zu verkaufen. Dafür sollen andere zuständig sein.

Zwischen Künstlern auf Ibiza - damals noch keine Partyexklave deutscher Billigtouristen - und den Spielcasinos und Rennplätzen Kontinentaleuropas lebt die Tagediebin ihr Leben nach eigenen Konventionen. Geistig unabhängig von ephemeren tagespolitischen Aufregern und zumeist auch finanziell sorglos - die wichtigen Dinge kann man eh nicht käuflich erwerben - beschreibt die Ich-Erzählerin ein Frauenleben, das sich grandios vom zeitüblichen Lebensweg - wir erinnern uns, man schreibt die 60er und 70er Jahre - unterscheidet.

G.G. von Bülow hat einen Roman geschrieben, der, bereits 2009 veröffentlicht, bislang noch nicht die Resonanz im deutschen Literaturbetrieb erhalten hat, die ihm eigentlich gebührt. Das ist schade, denn er beschreibt hochaktuell einen individuellen Lösungsweg, um der oftmals beklagten modernen Sinnentleertheit die Stirn zu bieten. Es ist der Titelheldin bereits vor mehr als 60 Jahren das gelungen, wovon heute viele Menschen träumen, doch niemals den Mut aufbringen würden, es in die Realität umzusetzen. Doch Vorsicht! "Quod licet Jovi, non licet bovi" oder "Was Jupiter darf, steht einem Ochsen nicht zu". Diese Warnung auf der Frontispiz-Seite des Romans gilt es zu beherzigen. Hat doch die Tagediebin eine wesentliche Voraussetzung für ihre selbstbestimmte Lebensweise: Charakter. Der ist heutzutage seltener zu finden als Diamanten. Hat man ihn - Charakter - nicht, dann ist die Gefahr allerdings groß, dass aus einem fröhlichen Tagedieb ein schmarotzender Taugenichts wird. Davon gibt es schon zu viele.

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