Buchkritik -- Karl-Josef Durwen -- Sofies Spiegelwelt

Umschlagfoto, Buchkritik, Karl-Josef Durwen, Sofies Spiegelwelt, InKulturA Das Leben als Möglichkeitsraum, als Ort der permanenten Erkundung dessen was wir sind und unsere Beziehungen zum uns Umgebenden? Die beiden Schwestern Iris und Elena, fünfzehn und dreizehn Jahre alt, interessieren sich nicht die Bohne für Philosophie. Erstere schwärmt für Computerspiele und Elena, von einer langen Krankheit genesen, sucht die Wärme und Nähe ihres Meerschweinchens Kuschel. Deren Vater, bekümmert darüber, dass seine Töchter philosophischen Fragen gegenüber so gänzlich abhold sind, versucht den Trick wohl aller um die geistige Entwicklung ihrer Kinder besorgten Erzeuger, diese mithilfe jugendlich angemessener Lektüre, in diesem Fall Sofies Welt, pubertäre Verweigerung durch gut gemeinte Angebote zu durchbrechen.

Leider ist auch in diesem Fall gut gemeint nicht gleichbedeutend mit erfolgreich und so ist es erst ein von Iris im Internet entdecktes Spiel, das bei den beiden Mädchen sukzessive Neugier an philosophischen Fragestellungen weckt. Heureka, der digitale Mastermind des Spiels und Bewohner der virtuellen Welt von Ureda, versteht es, die beiden Schwestern mehr und mehr in seinen Bann zu ziehen, nicht zuletzt, weil dort ebenfalls zwei Schwestern, Siri und Anele, dabei sind, ihrerseits philosophische Erkundungen zu unternehmen.

„Sofies Spiegelwelt“ ist, ich paraphrasiere mal etwas respektlos Friedrich Nietzsche, „Ein Buch für Alle und Keinen“, denn Karl-Josef Durwen ist es nach „Im Spiegel der Möglichkeiten“ wieder gelungen, eine Lektüre anzubieten, die, nein, nicht „Alle“ erreichen kann, die jedoch ein großes Lesepublikum verdient, in der Realität, dem Geist fern wie nie zuvor, aber leider nur wenige erreichen wird.

Letzteres ist nicht dem Autor, dem es erneut bestens gelingt, philosophische Fragen als eigentlich lebensbegleitend darzustellen, geschuldet, sondern vielmehr einem Zeitgeist, der, im Gegensatz zur sympathisch aufmüpfigen Iris, die digitalen Möglichkeiten mehr oder weniger zur Verengung des eigenen Horizonts benutzt und, in einer Blase der Selbstreferenzialität gefangen, alles ausblendet, was der persönlichen Meinung widerspricht, was nicht ins beschränkte Weltbild passt.

Dabei, auch das zeigt Karl-Josef Durwen mit stimmiger Diktion, gehört Philosophie, ich bin schon wieder etwas respektlos, abseits der aktuellen Orientierungslosigkeit rein akademisch geführter Diskussionen, die jenseits des universitären Biotops keinen Bezug mehr zur realen Lebenswelt haben, mitten hinein ins pralle Menschenleben, sprich auf den großen Marktplatz, auf dem über die Tauglichkeit und die Relevanz philosophischer Antworten auf drängende Fragen entschieden wird.

„Sofies Spiegelwelt“ ist ein wunderbares Buch, das es schafft Gegensätze zu vereinen. Leichtfüßig und gleichzeitig ernst, verspielt und trotzdem den großen Fragen des Lebens angemessen, stellt es eine Lektüre dar, die für diejenigen, egal ob Jugendlicher oder Erwachsener, die Ohren zum Hören, Augen zum Sehen und, ganz wesentlich, einen Kopf zum Denken haben, mit Gewinn und, ebenfalls nicht unwesentlich, Spaß zu lesen ist.

Und doch – oder vielleicht gerade deshalb? – überfiel mich nach den letzten Seiten eine tiefe Traurigkeit angesichts des Ist-Zustands unserer sich in Auflösung befindenden Gesellschaft, die, Vereinzelung, Egoismus und Exzentrizität anbetend, dabei ist, sich in den scheinbar unzähligen Verheißungen des Digitalen zu verlieren.

Als wenn das noch nicht reichen würde, ist es ein alarmierendes Merkmal des Zeitgeists, dass dieser die Antworten bereits zu wissen glaubt, bevor überhaupt die Fragen gestellt werden. Philosophie lebt von der Diskussion, Rede, Gegenrede und dem Austausch von Argumenten. Das bedeutet auch und gerade die Akzeptanz, das kritische Abwägen von Meinungen, die der eigenen diametral entgegenstehen.

„Sofies Spiegelwelt“ ist ein einsamer Leuchtturm in schlimmem Zeiten.




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Veröffentlicht am 13. Oktober 2019