Buchkritik -- Christian Kracht -- Die Toten

Umschlagfoto, Buchkritik, Christian Kracht, Die Toten, InKulturA Die neue Achse Berlin-Tokio will dem Machtanspruch der USA in Gestalt Hollywoods Paroli bieten und, vorerst, kinematographisch zurückschlagen. Der UFA-Tycoon Alfred Hugenberg nimmt dazu den Schweizer Regisseur Nägeli ins Visier, der gerade einen zwar nicht Kinopaläste füllenden, jedoch künstlerisch wertvollen Film mit gaaanz laaangsamen und bedeutungsschwangeren Kamerafahrten gedreht hat; einem deutschen Regisseur will der UFA-Chef diese Aufgabe dann lieber doch nicht übertragen, denn die werden alle daheim im Reich benötigt, um das sich ankündigende Trauerspiel mit heiteren Szenen zu begleiten.

Doch vorerst sendet Nägelis Pendant in Japan, Masahiko Amakasu, den neuen Achsenpartner einen kleinen Film, in dem eine der Eigenarten japanischer Konfliktbewältigung, Sepppuku, plastisch dargestellt wird. Kultur unplugged sozusagen. Ob diesen Streifen, im Reich angekommen, jemand gesehen hat, bleibt ebenso unklar, wie der Verbleib so mancher Nebenfiguren, von denen sich einige auf der Migration Richtung Frankreich still und spurlos verabschieden.

Amakasu und Nägeli, in beider Lebenslauf eine von der Norm abweichende Kindheit, unternehmen vieles, so penetriert ersterer mit zunehmender Tendenz und Begeisterung, zudem physisch weitaus besser ausgestattet als der Schweizer, dessen Verlobte Ida, natürlich Schauspielerin - mein Gott, wie ist die Frau nach Japan gelangt? - jedoch keine Spur von der japanisch-deutschen Kampfansage an die Studios in Hollywood.

Dazwischen geistert Charlie Chaplin durch die Clubs und Restaurants, der fast am Ende des Romans auf seine Weise mit dem Tonfilm abrechnet, doch, wir wie alle wissen, ohne durchschlagenden Erfolg.

Doch auch die Geduld und Toleranz eines Schweizers kennt eine Grenze, die dann erreicht ist, wenn der Zeuge eines lustvoll lauten Beischlafs des japanischen Verbündeten mit der eigene Freundin, quasi der Koitus als eine feindliche Übernahme im Rahmen der Waffenbrüderschaft, wird.

Nägeli, ganz der situativ agierende Regisseur, dokumentiert filmisch die angewandte Fraternisierung, bricht das Projekt Angriff auf Hollywood ab, was sich gut trifft, denn anscheinend ist es inoffiziell sowieso in der Kiste der toten Projekte gelandet, und irrt durch Japan, die Kamera immer fest im Griff. Zuhause, also in der Schweiz, freuen sich wieder kulturelle Minderheiten über seinen Dok-Film

Ida rettet sich, zusammen mit dem Filmdiktator, der spontan zum Gewalttäter wird und schwupps, schon wieder ist jemand auf Nimmerwiedersehen verschwunden, per Schiff Richtung Traumfabrik und nimmt, verlassen und mittellos, ein schlimmes Ende. Derweil sorgt sich im kalten Teil Nordamerikas der NS-Auslandspressechef Ernst "Putzi" Hanfstaengl um seine Zehen, die den klimatischen Verhältnissen wenig entgegenzusetzen haben.

Etwas vergessen? Ach ja, der Nationalsozialimus war Scheiße und Heinz Rühmann ein mieser kleiner Mitläufer.

Nach der Lektüre des Romans "Die Toten" von Christian Kracht bleibt der Rezensent etwas ratlos zurück und fragt sich, ob das vorliegende Werk eine Klamotte, ein Schelmenroman oder etwa große Literatur sein soll.




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Veröffentlicht am 11. Dezember 2016