Buchkritik -- Iva Procházková -- Die Residentur

Umschlagfoto, Buchkritik, Iva Procházková, Die Residentur, InKulturA Politik spielt sich, entgegen dem anderslautenden Mantra der Akteure, im Wesentliche hinter den Kulissen ab. Beziehungen, Abhängigkeiten, Interessen – auch und gerade finanzielle – und von außen hereingetragenen Einflüsse bestimmen nicht selten, aber immer ohne Wissen des Souveräns, weitreichende Entscheidungen.

In eben diesem Geflecht befindet sich Štěpán Chytil, ein aussichtsreicher Kandidat für einen Brüsseler Posten nach den Europawahlen. Volksnah und, bei Wahlen immer nützlich, mit scheinbar intakter Familie zieht er während seines Wahlkampfes durch Versammlungen und Medienauftritte.

Der Mord an einem investigativen Journalisten, der kritisch über die Expansionsbestrebungen Russlands berichtete, bringt ein sorgsam aufgebautes Kartenhaus zum Einsturz, denn die beiden Ermittler, die mit der Aufklärung des Verbrechens beauftragt werden, recherchieren innerhalb weniger Tage die Hintergründe dieser Tat und, wie bei einer Zwiebel, sie ziehen Schicht um Schicht die Motive der Beteiligten ans Tageslicht.

Iva Procházková hat einen bösen, weil realistischen Roman über politische und mediale Mechanismen geschrieben, der die hinter den wichtigen Entscheidungen stehenden Mächte demaskiert, deren Aktivitäten jedoch auch kein, wie es sie zur Genüge gibt, politischer Skandal, wesentlich behindern dürfte.

Es ist eine Form des organisierten Verbrechens, dass hinter den Kulissen Macht ausübt und dabei weder auf geheimdienstliche Aktivitäten noch finanzielle Manipulationen oder Korruption und Mord verzichtet. Staatliche Politik wird dadurch zum Spielball globaler Machtinteressen und hinter so mancher politischen Karriere findet sich die sprichwörtliche Leiche im Keller, die von interessierten Kreisen bei Bedarf an die Öffentlichkeit gebracht zu werden droht.

„Die Residentur“ ist ein Politroman, der den immer noch langen Schatten der kommunistischen Diktatur thematisiert, deren aktuelle Nutznießer und Profiteure aus alten und neuen Seilschaften bestehen, die sich längst im vordergründig demokratisch legitimierten System eingerichtet haben.




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Veröffentlicht am 24. Oktober 2020