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Buchkritik -- Martin Becker -- Die Arbeiter

Umschlagfoto, Buchkritik, Martin Becker, Die Arbeiter, InKulturA Das Geld war immer knapp und an dessen Ende immer noch so viel Monat übrig. Der Vater ein Malocher, erst im Bergwerk, dann, nach einem Betriebsunfall und dem Umzug ins Sauerland, in einer Firma, die Kurbelwellen für Kraftfahrzeuge herstellt. Vom Regen in die Traufe, denn auch hier muss geschuftet werden.

Die Mutter, als Kriegskind traumatisiert, niemand erfährt Genaueres, schon gar nicht die vier Kinder. Das erste, ein Mädchen, wird adoptiert und kurz danach stellt sich heraus, dass das Kind ein Handicap hat.

Danach werden ein Junge und ein Mädchen geboren, und, als Nachzügler der „Kurze“, derjenige, der uns die Familiengeschichte erzählt. Klar, dass die beiden mittendrin nicht viel von elterlicher Liebe abbekommen, denn das erste und das letzte Kind haben die volle Aufmerksamkeit vor allem der Mutter. Will jedoch nicht viel heißen, denn es war nicht die Ära der Gefühlsduselei Kindern gegenüber.

Geld musste herangeschafft werden, ein Haus erworben, vulgo lebenslang verschuldet, und eifrig dem Kauf auf Raten gefrönt. Eine ganz normale Familie in Zeiten des ungebremsten deutschen Wirtschaftswachstums.

Urlaub, wenn dann in der zweiten Reihe am Meer, denn in der ersten sitzen die „Schnösel“, die mit viel Geld und da kann die Familie aus dem Sauerland eben nicht mithalten. Außerdem, nicht ganz unwichtig, legen die Eltern keinen Wert auf soziale Kontakte und bis auf sehr wenige, an fünf Fingern zu zählende Fastfreundschaften, gibt es nur den Mikrokosmos der nicht eben kleinen Familie. Kein Wunder, dass sich die große Schwester so schnell wie möglich aus dem Staub macht und keinen Kontakt mehr wünscht. Kann man verstehen, denn Vater und Mutter haben andere Sorgen, als sich um die beiden Mittleren zu kümmern.

Erst als sowohl die Mutter demenzbedingt ausfällt und später auch der Vater, der sich, anstatt sein wohlverdientes Rentnerdasein zu genießen, um seine kranke Frau kümmert, kommen Fragen zur Familiengeschichte auf, die, retrospektiv erläutert, nicht immer zufriedenstellend beantwortet werden können.

Martin Becker erzählt mit seinem Roman ein Stück deutscher Privatgeschichte und handelt von denen, die es heute nicht mehr so zahlreich gibt, die typischen Arbeiter, die zu der Zeit, als der „Kurze“ seine ganz besondere Sozialisation durchmacht, den Laden Deutschland wirtschaftlich auf Vordermann, auf Weltniveau gebracht haben.

Eine typische Kindheit also, die geprägt war von einer „erzähl keinen Scheiß, sondern streng dich an“ Mentalität und Erziehung noch mit markigen Sprüchen jenseits aller pädagogischen Theorien ablief? Wer diese Zeit miterlebt hat – warum fallen mit jetzt die sog. Boomer ein? –, der wird so manches Mal mit dem Kopf nicken. Weniger aus nostalgischen Gefühlen, sondern weil es eben so war, wie es gewesen ist.

„Die Arbeiter“ kommt ohne Verklärung der Vergangenheit und ohne Sentimentalität daher und ist aus diesem Grund ein ehrlicher Zeitzeugenroman, dessen Erzähler aber auch feststellen muss, dass, wenn man sich nicht kritisch mir ihr auseinandersetzt, Familiengeschichte sich auch wiederholen kann.

Wie wohl in Zukunft die heutige Generation Z über unsere Zeit urteilen wir...?




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Veröffentlicht am 17. April 2024