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Buchkritik -- Haneen Al-Sayegh -- Das unsichtbare Band

Umschlagfoto, Buchkritik, Haneen Al-Sayegh, Das unsichtbare Band, InKulturA Die Drusen sind eine religiöse Gemeinschaft, die eine eigenständige religiöse Tradition innerhalb des Islam bildet. Generell haben die Drusen enge Gemeinschaften, in denen familiäre Bindungen, kulturelle Traditionen und religiöse Praktiken eine wichtige Rolle spielen.

Das Frauenbild innerhalb der drusischen Gemeinschaft variiert je nach kulturellem Kontext und den Traditionen der jeweiligen Region. Allgemein kann man sagen, dass die drusische Gesellschaft patriarchalisch geprägt ist, in der Männer die dominante Rolle in der Familie und der Gemeinschaft einnehmen.

Traditionell haben drusische Frauen oft eine stark familiäre Rolle, die darauf ausgerichtet ist, für das Wohlergehen des Haushalts und der Familie zu sorgen. In einigen drusischen Gemeinschaften gibt es sogar Einschränkungen bezüglich der öffentlichen Teilnahme von Frauen und bestimmten sozialen Aktivitäten, obwohl dies auch von verschiedenen Faktoren wie Bildungsniveau, geografischer Lage und individuellen Familientraditionen abhängt.

Es gibt jedoch auch Beispiele für drusische Frauen, die in Bildung, Beruf und Politik aktiv sind und eine stärkere Rolle in der Gesellschaft einnehmen, insbesondere in urbanen Zentren und unter Bedingungen zunehmender Modernisierung und Globalisierung.

Eine davon ist Amal, die, gemäß der Tradition, mit fünfzehn Jahren verheiratet wird und das Elternhaus verlässt. Es ist keine Liebesheirat, sondern eine, die von den Familien arrangiert wird und der Frau kein Mitspracherecht erlaubt.

Amal ist eine gute Schülerin und sie ringt ihrem Mann die Erlaubnis ab, weiterhin die Schule und danach die Universität zu besuchen. In der Ehe kommt es zu den erwartbaren Konflikten, denn sie verlangt mehr vom Leben, als nur eine gehorsame Ehefrau zu sein, die ihrem Mann in allen Belangen zu gehorchen hat.

Als Amal nach vielen vergeblichen Versuchen schwanger wird, stellt sich die Geburt ihrer Tochter für sie als ein Scheidepunkt heraus, denn sie beginnt, ihre Vergangenheit und ihre Zukunft, sollte sie in den bisherigen Bahnen weiterleben, zu reflektieren. Dabei gerät sie in große innere Konflikte, denn weder liebt sie ihren Mann, noch gelingt es ihr zuerst, der neugeborenen Tochter mütterliche Gefühle entgegenzubringen.

Nach der Veröffentlichung von drei Gedichtbänden und ausgezeichnet mit dem renommierten Naji Noaman Literary Award ist „Das unsichtbare Band“ das Romandebüt von Haneen Al-Sayegh, die ein autobiographisch zu lesendes Werk vorgelegt hat, in dem der schwere Kampf um geistige und körperliche Selbstbestimmung einer Frau aus patriarchalischem Milieu geschildert wird.

Sukzessiv gelingt es ihr, dem Kokon aus sozialen, religiösen und familiären Erwartungen und Ansprüchen zu entkommen. Diese literarisch verarbeitete Flucht hinterlässt jedoch einen zwiespältigen Eindruck.

Was als reflexive Selbstdarstellung beginnt, entwickelt sich im Verlauf des Romans zu einer, ausschließlich auf ihre eigene Person fixierte Betrachtung der Welt. Keine irgendwie gestalteten Kontakte zu ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen. Gefangen in einem permanenten Gefühl des Ungenügens, das durch ihr niedriges Selbstwertgefühl und ihrem negativen Selbstbild bei gleichzeitigem Hang zum Perfektionismus zum sozialen Rückzug Amals und folgerichtig zu einer Depression führt.

Verstärkt durch eine zweifelsohne poetische und gefühlvolle Diktion, wird daraus eine Melange widersprüchlicher Intentionen, die in einem großen Kontrast zu ihren Emanzipationsbemühungen stehen, denn das Ziel Amals, sich von Zwängen und Traditionen zu befreien, kann nur im Austausch mit dem sozialen Umfeld geschehen.

Erst als sie Ahmed Abdel-Salam – klingelt da etwas? – den Schriftsteller und Kämpfer für die Rechte von Frauen in patriarchalisch organisierten Gesellschaften kennenlernt, gelingt ihr die, wenn man sie denn so nennen will, Befreiung.

Leider ist dieser Prozess literarisch dermaßen zuckersüß beschrieben, dass man sich unwillkürlich die Frage stellt, ob Amal einen Kokon gegen den anderen getauscht hat. Das Verhältnis zu ihrer Tochter bleibt auch bis zum Schluss des Romans fragil bis unbestimmt und es wäre eine Überlegung wert, ab man diesbezüglich in der von der Autorin vorangestellten Widmung „Verzeih mir, Liebes, denn ich konnte nie ganz bei dir sein. Ich erziehe dich und mich zur gleichen Zeit.“ die Tragik zweier Leben erkennen kann.




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Veröffentlicht am 31: März 2024