Buchkritik -- Jonathan Franzen -- Crossroads

Umschlagfoto, Buchkritik, Jonathan Franzen, Crossroads, InKulturA Es ist der 23. Dezember in einem Vorort von Chicago. Familie Hildebrandt bereitet sich auf das Weihnachtsfest vor. Keine normale Familie, sondern die eines Pfarrers. Vier Kinder und eine vom Leben frustrierte und ihrem Mann entfremdete Ehefrau, bilden im ersten Teil der Trilogie über „A Key to All Mythologies“, so der Untertitel der US-amerikanischen Originalausgabe, ein beliebtes, doch inzwischen gründlich durchliteriertes Thema.

Man schreibt die 70er Jahre. Die USA führen in Vietnam einen Krieg, der die Menschen in der Heimat spaltet. Auch Familie Hildebrand wird davon betroffen werden, denn der älteste Sohn Clem bricht sein Studium ab, um sich freiwillig für den Kriegseinsatz zu melden. Überhaupt die Familie, die in Wirklichkeit gar keine mehr ist, sondern nur noch mühsam die Fassade der Anständigkeit und Respektabilität aufrechterhält.

Den Vater, zweiter Pfarrer der Gemeinde, treiben, für den Leser peinliche, weil infantile erotische Vorstellungen gegenüber einer jungen geschiedenen Frau. Marion, die Mutter, eine Frau mit psychischen Problemen in der Vergangenheit. Becky, die Tochter, Jahrgangsschönste der Highschool, driftet zusammen mit ihrem Freund in die musikalische Subkultur und wird früh, sehr früh Mutter. Perry, der hochbegabte, jedoch ebenfalls unter psychischen Problemen leidende Sohn, fällt seiner Drogensucht zum Opfer. Einzig der jüngste Spross der Familie bleibt bei Franzen merkwürdig blass und spielt, zumindest im ersten Teil der Trilogie, eine unauffällige Rolle.

Mit seinem, ich nenne es Mauerblümchendasein, hat er in diesem über 800 Seiten starken Roman eine Ausnahmestellung, denn sowohl seine Eltern als auch seine Geschwister sind Getriebene ihrer jeweiligen moralischen und sozialen Ansprüche, die von Jonathan Franzen am Ende zwar zuckersüß überspielt werden, nichtsdestoweniger ungelöst bleiben.

„Crossroads“ ist nicht nur vom Umfang her ein wuchtiger Roman, sondern hauptsächlich wegen des im Zentrum stehenden Motivs der Religion. Damit ist er zwar ein typisches Produkt einer US-amerikanischen Literatur, die anscheinend Gefallen daran findet, religiöses Sendungsbewusstsein auf persönliche Ressentiments treffen zu lassen, für Leser und Leserinnen, die dem Religiösen distanziert gegenüberstehen, jedoch eine arge Herausforderung.

Überhaupt, welche Mythologie meint Franzen, zu der dieser erste Band einen Schlüssel darstellen soll. Meint er die Religion oder bezieht er sich auf die Familie? Ein in Bigotterie mündender und letztendlich doch vom Sexualtrieb bestimmter Glauben? Die soziale Entität Familie, die auch in den 70er Jahren schon längst zum Abschuss freigegeben war?

Nein, es macht keinen Spaß dieses Opus magum – Verlagswerbung – zu lesen. Die Figuren sind dermaßen überzeichnet und bleiben trotzdem jedoch bestürzend farblos und eindimensional. Immer wieder wird das Lesepublikum auf die Metaebene geführt, so als glaube der Autor, seinem Werk stets eine Leseanleitung beifügen zu müssen, um die Leser in der Spur zu halten.

Obwohl in „Crossroads“ die ganze Palette familienimmanenter Probleme – Vater-Sohn, Vater-Tochter, Tochter-Mutter, Ehefrau-Ehemann – abgehandelt wird, bleiben zum Schluss angesichts dieses literarischen Parforceritts trotzdem – oder gerade deshalb? – mehr Fragen als Antworten.

Eine davon ist die, ob man sich auf die folgenden zwei Bände freuen soll…?




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Veröffentlicht am 26. Dezember 2021