Buchkritik -- Claudia Sammer -- Ein zögerndes Blau

Umschlagfoto, Buchkritik, Claudia Sammer, Ein zögerndes Blau, InKulturA Krieg und Vertreibung zerstören Lebenswege. So auch ein namenloser Krieg in einem namenlosen Land, der jäh die Kindheit des 9-jährigen Leons und der etwas jüngeren Teres beendet. Von einem Tag auf den anderen aller vermeintlichen Gewissheiten, aller Sicherheiten und allen Glücks beraubt, werden sie während der Deportation von ihren Familien getrennt. Zusammen mit anderen Kindern, die das gleiche Schicksal haben, schlagen sie sich, immer auf der Suche nach Nahrung und Unterschlupf, in einem Land, dessen Sprache sie nicht verstehen, mehr schlecht als recht durch. Durch eine glückliche Fügung werden Leon und Teres, die sich mit stummer Verzweiflung an den älteren Jungen heftet, von einer Bauernfamilie aufgenommen.

Was auf den ersten Blick wie ein frühes Happyend erscheint, ist in Wirklichkeit der Auftakt von zwei sich unterschiedlich entwickelnden Lebenswegen, die nur eines gemein haben: die frühe und radikale Entwurzelung und die sie lebenslang verfolgende Heimatlosigkeit. Leonas und Irena, wie sie von ihrer neuen Familie genannt werden, passen sich nur zögerlich, Leonas etwas schneller als Irena, der neuen und fremden Umgebung an.

Über diese, für die beiden lebenslange und nicht selten dramatische Herausforderung, erzählt Claudia Sammer in ihrem Romandebüt. Es ist nicht zuletzt eine Geschichte über die Macht der Sprache, die, früh verinnerlicht, wenn sie, wie bei Leon und Teres, verloren geht, gleichzeitig den Verlust der eigenen Identität bedeutet. Leon, während der ersten neun Lebensjahre in einer kulturell aufgeschlossenen Umgebung aufwachsend, kann diesen Verlust kompensieren, Teres dagegen bleibt darin gefangen, auch wenn sich Leon zeit ihres gemeinsamen Lebens darum bemüht, sie aus dem Kerker ihrer Sprachlosigkeit, nicht zu verwechseln mit Stummheit, zu befreien.

Mit eindringlicher, niemals in Sentimentalität sich verlierender Diktion zeichnet die Autorin das Leben ihrer Figuren nach, das stets in der Spannung zwischen Optimismus und Verzweiflung, zwischen Hoffnung und Scheitern vibriert und, zumindest für Teres tragisch endet.

Einen kleinen Wermutstropfen in dem ansonsten stimmigen Roman stellen die abrupten Wechsel der Erzählperspektive dar, die auch den aufmerksamen Leser dazu auffordern, einige Seiten zurückzublättern, um sich zu vergewissern, wer gerade spricht und dies zeitlich einzuordnen.




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Veröffentlicht am 10. Februar 2019