Buchkritik -- David Graeber -- Bürokratie

Umschlagfoto, David Graeber, Bürokratie , InKulturA Für einen bekennenden Anarchisten ist Bürokratie gleichzusetzen mit dem absolut Bösen, allein weil sie Nach Regeln funktioniert, ohne die eine Gesellschaft, überspitzt formuliert, ins prähistorische Chaos abgleiten würde. David Graebers Coming Out bezüglich seines Furors mit dem er gegen "... das Ausfüllen von Formularen" wettert, hat dabei einen sehr persönlichen Hintergrund. Nach der Erkrankung seiner Mutter kam er, widerwillig, in Kontakt mit diversen Institutionen, um die bei sich ankündigenden familiären Veränderungen notwendigen amtlichen Dokumente und Überschreibungen von Vermögenswerten zu beantragen.

Das brachte anscheinend, so das Fazit nach der Lektüre von Graebers neuem Buch "Bürokratie", den wahlweise gern als Aktivist, Anarchist und Querdenker bezeichneten Akademiker an der Eliteuniversität London School of Economics an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Lamentierend über den, so Graeber, Totalzugriff neoliberaler Politik auf die Gesellschaft, kommt er zu dem überraschenden Schluss, das besagter Neoliberalismus ein Bündnis zwischen Staat und Markt ist, das zu Bürokratismus, üppigen Regelwerken und polizeistaatlichen Methoden geführt habe.

Dabei, und das ist nur eine der vielen Merkwürdigkeit dieses Buches, erfährt der Leser nicht, was der Autor sich überhaupt unter dem Begriff Bürokratie vorstellt. Man kann wahlweise zwischen "Papierkram", "bürokratischen Kapitalismus" oder "räuberische Bürokratisierung" unterscheiden, doch klarer und eindeutiger wird Graebers Position dadurch auch nicht. Auch der von ihm hergestellte, besser gesagt postulierte Zusammenhang zwischen Bürokratie und staatlicher Gewalt bleibt bis auf plakativ dahingeworfene Allgemeinplätze eher vage.

Wer, wie der Autor, begriffliche Unschärfe zur wissenschaftlichen Methode erklärt und allen Ernstes "Globalisierung" und "Bürokratisierung" für austauschbare Begriffe hält, für den sind natürlich auch Formulare zur Schulanmeldung von Kindern oder das Vorzeigen seiner Benutzerkarte beim Betreten einer Universitätsbibliothek arge Zumutungen.

David Graeber, einst der Star der inzwischen fast wieder vergessenen Occupy-Bewegung, lebt anscheinend in der akademischen Zwischenwelt und feiert immer noch die Pseudo-Erfolge des Arabischen Frühlings und der Occupy Gipfelproteste der Jahre 1998-2003, blendet jedoch vollkommen aus, welchen Verlauf diese genommen haben.

Man könnte Graebers neues Buch für amüsant und charmant erzählt halten, zumal er dem Leser eine metaphysisch anmutende Interpretation der Batman-Trilogie Christopher Nolans anbietet, die mit viel Phantasie und akademischer Finesse aufwartet, wenn nicht der Tenor des Buches ausschließlich in einer "radikalen Vereinfachung" bestehen würde und damit den Kernfehler jeder anarchistischen Theorie wiederholen würde, fast jede Regel sei Ausdruck neoliberaler und damit, so Graeber, staatlicher Willkür. Aus diesem Grund ist "Bürokratie. Die Utopie der Regeln" ein höchst ärgerliches Buch.




Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 29. Mai 2016