Buchkritik -- Morris Berman -- Kultur vor dem Kollaps?

Umschlagfoto  -- Morris Berman  --  Kultur vor dem Kollaps? Stehen wir vor einem neuen Mittelalter der Kultur? Droht der zivilisierten Welt ein Rückfall in barbarische Zeiten? Deuten alle Zeichen auf einen Verfall der Kultur? Morris Berman meint ja. In seinem Buch "Kultur vor dem Kollaps" beschreibt er seine Ängste gegenüber dem Verfall von Kultur und Gesellschaft. Er beschreibt zwar primär die amerikanische Gesellschaft und ihren aktuellen Zustand, doch seine Analyse trifft wohl jeden Staat und jede Nation, die nach dem amerikanisch-kapitalistischen System funktioniert.

Wie sieht die Gesellschaft aus die Berman beschreibt? Die Wirtschaft diktiert zunehmend die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Der Kapitalismus grenzt nach Unabhängigkeit strebende Bewegungen aus und setzt auf ein globales System von Unterdrückung und Gleichmacherei. Was nach Vielfalt aussehen soll ist in Wirklichkeit Ausdruck der Machtakkumulierung von wenigen transnationalen Konzernen. Verlage, Autoren, Filmgesellschaften, Medien und Zeitungen sind in der Hand von meinungsmachenden Mischkonzernen. Privates Fernsehen führt letzendlich zur Verdummung der Massen. Bildung und Kultur sollen sich dem Primat der Wirtschaft unterwerfen. Wer sich die endlosen Serien im Fernsehen einmal angesehen hat, der wird Berman recht geben.

An die Stelle eines Kanons von unbedingt benötigtem Wissen- unbedingt deshalb, weil nur durch die Vererbung und die Weitergabe des seit Generationen erworbenen Wissens ein Weiterleben der Kultur garantiert ist- steht die moderne Anti-Kultur der Beliebigkeit. Schick ist das was gefällt. Anstelle von Elitenbildung, ohne die keine Nation dazu in der Lage sein wird die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, steht die individuelle Nabelschau. "Fit for Fun" ist die Devise. Jeden Monat ein neuer Trend und die Welt hat ihre neue Hype. Was als Befreiung des Individuums gefeiert wird, ist in Wirklichkeit eine geschickt manipulierende Werbebotschaft. Schrankenloses komsumieren wird als Freiheit verkauft, wer sich das nicht leisten kann bleibt außen vor.

Studenten die nach Abschluß ihres Studiums nicht dazu in der Lage sind ihr eigenes Land auf einer Karte zu finden, Universitäten an denen man mit der literarischen Fassung der eigenen Nabelschau einen Doktorgrad erwerben kann, lassen Morris Berman schier verzweifeln. Auch wenn man ihm zugute halten muß, das er aus berechtigter Sorge um den Zustand der Gesellschaft und der Kultur manchmal über sein Ziel hinausschießt, hat er doch in den entscheidenden Punkten recht: Die Kultur steht vor einer großen Zerreiß- und Bewährungsprobe.

Für den Autor ist es erweisen, das sie nur durch den beherzten Eingriff von Individuen gerettet werden kann, die dazu in der Lage sein werden, Wissen zu akkumulieren, es zu tradieren, um es Generationen später wieder an eine interessierte und geistig fruchtbare Gesellschaft zurückzugeben. Als Beispiel dieser, wie er es nennt monastischen Option dienen die Mönche des Mittelalters. Nachdem das west-römische Reich zusammengebrochen war und Europa im Dunkel des Mittelalters versunken war, waren es die Mönche in den Klöstern, die das bis dahin angesammelte Wissen schützen. Größtenteils durch einfaches Kopieren über Generationen hinweg, zwar ohne unbedingt Kenntnis von dem zu haben, was kopiert wurde, konnte Wissen gerettet werden und einer neuen Generation zur Verfügung gestellt werden.

Was ist nun von dieser Idee, der monastischen Option, zu halten? Zweifellos hat Berman recht, wenn er einen kulturellen Kollaps voraussieht. Dieser scheint wirklich nicht mehr weit entfernt zu sein. Die Frage ist, ob es in einer Zeit, in der sich das Wissen jedes Jahr nahezu verdoppelt und es sich zudem in unzählige Disziplinen aufgespaltet hat, überhaupt noch möglich ist, ein zusammenhängendes Wissen zu akkumulieren um es an seine Nachfahren weitergeben zu können?

In unserer Zeit, in der die Diskrepanz zwischen technischen Möglichkeiten und ethisch-moralischen Fähigkeiten immer größer wird, sind vermehrt Basiskenntnisse vonnöten und nicht die Theorie und Praxis der Genmanipulation. Doch die Erfahrung zeigt es- und auch hier hat Berman absolut Recht- das zu jeder Zeit das wissenschaftlich Machbare auch getan wurde. Fast immer zum Nachteil des Wünschbaren. Fortschritt hat sich zu einem Damoklesschwert entwickelt, der primär den Interessen des Kapitals dient und nicht mehr dem gesellschaftlichen Fortschritt. Die Masse wird wie zu Roms Zeiten mit Brot und Spielen abgefunden. Heute allerdings durch TV und Spaßkultur ersetzt. Roms ist untergegangen und hat für viele Jahrhunderte die Fackel der Kultur verlöschen lassen. Wenn sich Bermans Prophezeiungen erfüllen, dann steht den Industrienationen eine Tragödie bevor, aus der sie sich nicht wieder befreien werden können.




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