Buchkritik -- Wieland Schneider -- Das Ende der Angst?

Umschlagfoto  -- Wieland Schneider  --  Das Ende der Angst?, InKulturA Als im Jahr 2011 Zehntausende Ägypter auf dem Tharir-Platz in Kairo den Rücktritt von Hosni Mubarak forderten, war die Arabellion, so die Bezeichnung westlicher Beobachter für die Volkserhebungen in Nordafrika und dem Nahen Osten, ausgehend von Tunesien, eine Bewegung geworden, die nicht mehr aufzuhalten war. Es war ein politischer Flächenbrand, der, im Maghreb begonnen, die gesamte arabische Welt des Nahen Ostens erfasst hat. Die Völker wollten sich nicht mehr mit den diktatorischen Herrschaftssystemen abfinden, die den jeweiligen Familienclans die Schweizer Bankkonten füllten, die Menschen jedoch in Armut und politischer Willkür leben ließen.

Wieland Schneider, stellv. Leiter des Ressorts Außenpolitik der österreichischen Tageszeitung Die Presse hat die Revolutionen in Ägypten und Libyen als Augenzeuge erlebt und erzählt in seinem Buch "Das Ende der Angst?" seine Erfahrungen und Erlebnisse mit den jungen Aufständischen und den dramatischen Ereignissen, die sich in Ägypten und Libyen abgespielt haben.

Ist es bemerkenswert genug, dass sich die Völker der islamischen Staaten gegen ihre Despoten, die lange Zeit von den westlichen Staaten finanziell und politisch unterstützt wurden, erhoben haben, so ist es noch erstaunlicher, wie diszipliniert und mit welch einem Organisationsvermögen gerade der Umsturz in Ägypten durchgeführt worden ist. Schneider lässt die jungen Revolutionäre zu Wort kommen und der Leser wird Zeuge der Begeisterung, die diese Menschen erfasst hat und der Elan, mit dem sie sich den Zielen Freiheit und Demokratie verschrieben haben.

So spannend die Berichte des Autors bezüglich der Aktionen der Freiheitskämpfer auch sind, er vergisst darüber nicht die Frage, wie die arabische Zukunft aussehen wird. Das sehen viele der Aktivisten ähnlich und so ist die eigentlich dramatische Frage auch in dem Satz des jungen libyschen Revolutionärs gestellt, für den es sich erst dann, wenn alle Waffen eingesammelt sind, herausstellen wird, ob der Kampf für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte erfolgreich gewesen ist.

Der Autor verschweigt die anstehenden Probleme vieler arabischer Nationen nicht. Die teilweise desolate wirtschaftliche Lage in Ländern wie Ägypten und Libyen, die hohe Arbeitslosigkeit, fehlende staatliche Strukturen und die allgegenwärtige Korruption sind nur einige Beispiele für die aktuellen Probleme dieser Länder. Dazu kommt, auch das verschweigt Schneider nicht, die latente Gefahr, dass sich die Mehrheit der Bürger für die radikal-islamischen Bewegungen, die in diesen Ländern über großen Einfluss verfügen, entscheiden werden. Die aktuellen Wahlen in Ägypten weisen in diese Richtung. Dort wurde mit wurde Mohammed Mursi immerhin ein Mitglied der Muslimbruderschaft zum neuen Präsidenten gewählt.

Waren die Rebellionen in Tunesien und Ägypten noch verhältnismäßig gewaltfrei, bzw. weitestgehend ohne Waffengewalt durchgeführt, so waren in Libyen und sind aktuell in Syrien die Bedingungen vollkommen andere. In Libyen haben sich das erste Mal die westlichen Staaten aktiv am Bürgerkrieg beteiligt. Zwar gab das UN-Mandat der NATO nur die Befugnis zum Schutz der Zivilbevölkerung, doch das wurde, wie auch Wieland Schneider mokant betont, "sehr großzügig ausgelegt". In Wahrheit beteiligte die Nato sich - nicht wenige sprechen von völkerrechtswidrig - direkt an den Kämpfen gegen den libyschen Diktator Gaddafi.

Nicht ohne Grund stellt der Titel des Buches eher eine Frage dar, denn eine Behauptung. Ist mit den erfolgten Despotenstürzen wirklich "Das Ende der Angst" erreicht oder nur der Grundstein für eine Diktatur im Namen des Islam gelegt? Während die aktuellen politischen Situationen in Tunesien und Ägypten vorerst für eine, wenn auch moderate und unter islamischen Voraussetzungen sich entwickelnde Demokratie sprechen, sind die Zustände sowohl in Libyen als auch Syrien besorgniserregend.

Im ersteren Fall scheint es schwierig zu sein, eine handlungsfähige Regierung auf die Beine stellen zu können, da in diesem Land regionale Clans die politische Macht darstellen und es sich als schwierig erweist, diese semipolitischen Strukturen zum Verzicht eines Teils ihrer Macht zu bewegen. Die Bewaffnung der zumeist jugendlichen Revolutionskämpfer dürfte die Situation nicht eben vereinfachen.

Im zweiten Fall, in Syrien, liegt ein Gemengelage von divergierenden politischen Interessen benachbarter Staaten vor. Israel, die Hisbollah, der Iran und Saudi-Arabien, aber auch die syrischen Minderheiten, Schiiten, Alawiten, Christen und Kurden beobachten die Situation mit kritischem Interesse.

"Das Ende der Angst?" von Wieland Schneider ist eine aktuelle Zustandsbeschreibung der arabischen Revolutionen. Das Buch verzichtet auf Prognosen und beschreibt, zumindest für Syrien, mögliche Szenarien. Der Autor gibt den Gesichtern der arabischen Revolution eine Stimme und hebt sich damit wohltuend von den manchmal doch überheblich daherkommenden Analysen selbst ernannter Experten ab.




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