Buchkritik -- Jakob Anderhandt -- Phantastische Tetralogie

Umschlagfoto  -- Jakob Anderhandt  --  Phantastische Tetralogie Die Lektüre eines Buches ist zu allererst immer auch ein Wagnis. Gelingt es dem Autor mich zu fesseln? Sind seine Figuren interessant und wie sprechen sie zu mir? Kann ich als Leser überhaupt mit ihnen in Kontakt treten oder bleiben sie mir fremd? Literatur bewegt sich in dem Spannungsfeld zwischen Nähe und Ferne des Autors zu seinem Leser, bzw. des erlesenem einerseits und andererseits der Bilder und Phantasien, die ausschließlich in den Gedanken des Lesers auftauchen. Gutes lesen beginnt mit der Bereitschaft mich selber in dem Strudel der Worte und Sätze zu verlieren.

Jakob Anderhandt fordert diese Bereitschaft mit seinem Buch Phantastische Tetralogie geradezu heraus. Vier Geschichten, vier Realitäten und vier Möglichkeiten der Begegnung von Autor und Leser. "Was und warum schreiben, wenn schon alles geschrieben ist?", fragt sich der Erzähler der ersten Geschichte. Autobiographisch und doch distanziert und kühl seziert der Autor introspektivisch Motivation und Möglichkeit. Begriffe werden demontiert, "Innen", "Außen", "Hülle" und "Kern" haben ihre Signifikanz verloren und müssen neu skizziert und vermessen werden um die Wiederholung des Gleichen zu vermeiden. Ein Neues Land gilt es zu entdecken. Innerlich und Äußerlich.

So auch in "Ambrosius". Wieder verwischen, nein verschieben sich die Ränder, geben Sicht auf etwas Anders, Neues und Unbekanntes. Fernes wandelt sich und aus der Nähe betrachtet verpuppt sich die Realität in ein Kaleidoskop aus Möglichkeiten. Hinter jeder Ecke lauert eine andere Facette und traumschnell wandelt der Leser zwischen Sein und Schein, zwischen Realität und Traum daher.

Mein persönlicher Favorit dieses Buches ist "N. - Eine Vorlesung über Verlust". Schwermütig, nahezu bleiern verkriecht sich die Zeit. Vergangenes und Gegenwärtiges zerklumpt zu einem amorphen Gebilde, dem die Zukunft auf ewig verschlossen bleibt. Die Zeit, welche sonst zu rennen, zu fliegen scheint, steht hier still und wird für die Personen zum immerwährenden Quell ihrer Hoffnungslosigkeit. Ein Ausbruch ist unmöglich, denn dann wäre verpfuschtes Leben sichtbar. Lieber stumme Verzweiflung, als schreiende Hoffnung, die es so niemals geben wird. Hier gibt es kein "Innen" und kein "Außen" mehr. Die Hülle ist das Zentrum. Eindimensional und statisch. Die Gefangenschaft wird ewig währen.

Alle vier Geschichten (ent)lassen den Leser nicht in die Ruhe des "schönes Ende, oder?", sondern halten ihn in der Schwebe zwischen der Möglichkeit des jeweils anderen und dem Scheitern an Vexierbildern. In "Chi Tau si - Märchen-Novelle" sucht der Leser z. B. zusammen mit dem Grafen genau das, dessen Abwesenheit schon die Vertreter der Romantik zum Verzweifeln brachte. Vielleicht findet dies ja der eine oder andere aufmerksame Leser dieses Buches.

Die Phantastische Tetralogie macht Mühe beim Lesen und fordert damit gerade die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Autor heraus. Dieses Spiel, wenn man sich denn darauf einläßt, macht die Lektüre so überaus reizvoll und versöhnt einen wieder mit den doch etwas abrupten Enden der Geschichten. Wer abseits dessen, was schon alles geschrieben wurde immer noch Lust auf Lesen hat, der kann hier getrost zugreifen.




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