Das philosophische Wirtschaftsmagazin -- agora42 -- 01/2019

Umschlagfoto, Das philosophische Wirtschaftsmagazin, agora42, InKulturA Zurück in die Zukunft! Die Krise ist da, ein vormals diffuses Unbehagen hat längst eine Schneise in den, nicht nur bürgerlichen, Mainstream geschlagen. Kaum jemand bestreitet, dass es so, wie es bislang mehr oder weniger holprig funktioniert hat, auf Dauer ohne dramatische Auswirkungen auf die physischen und psychischen Ressourcen der Erde und deren Bewohner weitergehen kann. Derzeit macht sich hektischer bis zuweilen sinnloser Aktionismus breit, der im Grunde nur eines verdeutlicht: die Ratlosigkeit der verantwortlichen Akteure und das verbissene Insistieren fast aller Betroffenen in ein „nach uns die Sintflut“.

Da kommt ein pausieren und zurückblicken gerade recht, ja ist sogar notwendig, um rekapitulierend Positionen, Meinungen und Ursachenforschung mit den tagesaktuellen Befindlichkeiten zu vergleichen. Das philosophische Wirtschaftsmagazin agora42 hält mit seiner aktuellen Ausgabe inne und greift auf Beiträge der letzten neun Jahre zurück, um, wenn schon keine Synchronisation, die auch gar nicht möglich wäre, so doch zumindest einen Standort zu generieren, der rückblickend auf die Gegenwart positioniert ist.

Philosophen, Ökonomen und Politiker, na ja, von letzteren Mangels längerfristigem Denken wohl nicht so viele, sind sich darüber einig, dass ein „weiter so“ inakzeptabel ist und dringend probate Lösungen für multiple Problemzonen gefunden werden müssen. Doch gerade das ist, wie es im Beitrag von Birger P. Priddat deutlich wird, unter den aktuellen universitären Bedingungen nahezu unmöglich, denn wie dieser provokant schreibt, „... wird heutzutage den Studenten doch gar nicht mehr das Denken beigebracht“. Eine steile These, die seit der sog. Bologna-Reform der Universitäten, die auf eine humanistische Grundausbildung verzichtet, jedoch an Evidenz gewonnen hat.

Es kann an dieser Stelle nicht auf alle Beiträge im Einzelnen eingegangen werden. Leser des Magazins werden sie sowieso kennen, doch es lohnt sich, einen Blick auf bestimmte, weniger die Allgemeinheit, als vielmehr das Individuum betreffende Artikel zu werfen. Immerhin besteht doch das „wir“, also die Menge deren, die etwas unternehmen müss(t)en aus vielen separaten “ich“, die erst im Zusammenspiel so etwas wie Fortschritt erreichen können.

Diesbezüglich stellt Reinhold Messner wohl die richtige Frage. „Was mache ich besser?“ Mit seiner Antwort, die im Wesentlichen die Quintessenz seines Handelns ist, nicht in „abstrakte Finanzprodukte“ und deren kurzfristige Renditeversprechen zu investieren, sondern handfest in drei Bauernhöfe, die erfolgreich den regionalen Markt bestücken und damit rentabel arbeiten, macht er deutlich, dass das eben erwähnte „ich“ einer der ausschlaggebenden Faktoren für nachhaltige Veränderungen ist.

Doch was machen wir, wenn, wie es Ulrike Herrmann formuliert, der Kapitalismus ein totales System ist, das, werden an einigen Stellen Veränderungen initiiert, an anderen Orten dadurch Verwerfungen entstehen lässt? Ist der Ansatz von David Graeber, kleinere gesellschaftliche Einheiten, die weitgehend autonom sind, eine Alternative? Die aktuellen politischen Bestrebungen laufen leider auf das genaue Gegenteil hinaus.

Einen interessanten Vorschlag zur einer längerfristig, weit über die derzeitige politische Legislaturperiode angelegten Wirtschaftspolitik macht Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz SE. Politikferne Institutionen, z. B. einen Rat, ausgestattet mit „politischen Durchgriffsrechten“ zur Vermeidung überbordender nationaler Schulden und einen Rat, ebenfalls mit politischem Mandat, um eine bessere Aufsicht über den Finanzmarkt und seine mitunter dubiosen Tricks zu erhalten. In Zeiten, in denen die Politik längst die Kontrolle über die Wirtschaft und ökonomische Bedingungen verloren hat, vielleicht keine schlechte Alternative.

Vielleicht sind uns aber auch, wie Sahra Wagenkecht es am Schluss ihres ansonsten positiven Ansatzes für eine gerechtere Gesellschaft etwas melancholisch formuliert, „die großen Utopien, nicht nur der Politik, sondern auch der Kunst und der Literatur abhanden gekommen“. Vieles spricht dafür, die zunehmende Vereinzelung in der Gesellschaft, die fehlende Diskursbereitschaft der vielen „ich“ und die Vorstellung, Hanna Poddig ist im ihrem Interview da sehr freimütig, von so etwas wie einer „strategisch richtig eingesetzten Gewalt“. Diese falsche Einstellung, wissen zu glauben, was richtig ist, hatten auch Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und ihre Epigonen – mit den bekannten Konsequenzen.

Die erste Ausgabe des Jahres 2019 hinterlässt beim Leser einen durchaus zwiespältigen Eindruck, der jedoch nicht die Qualität der jeweiligen Beiträge betrifft. Zum einen die Tatsache, dass sich viele Menschen der dringend benötigten Kurskorrekturen bewusst sind, zu anderen jedoch die Crux der Absenz wirklich nachhaltiger Maßnahmen, ohne die Gefahr, demokratische Spielregeln zu unterlaufen.





Veröffentlicht am 21. Dezember 2019